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Ich habe die Unschuld kotzen sehen

Titel: Ich habe die Unschuld kotzen sehen
Autoren: Dirk Bernemann
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vergammeln wir
    und lieben uns
     
    der Sieg über die Sonne
    besteht in ihrer Ignoranz
    das Innere einer Muschel
    ist eine von Arbeitslosigkeit
    geprägte Region
    durchdringend flüstert Erregung
    ich nur weiß, wie Energie entsteht
    wo Schlafes Lust
    die Geilheit weckt
    ist unser Versteck, oh Syndala ...
    ... irgendwann wurde ich wach. Mir war herrlich warm. Ich war wieder auf irgendeiner Party. Licht und Sound waren wieder da, so wie vorhin. Getanzt wurde auch. Hatte mich wohl in ‘ne Ecke gelegt und war eingeschlafen. Hey, ich muss noch meine Kum pels nach Hause bringen ...
    Vor mir sah ich zwei Typen, die einen Körper rum trugen. Plötzlich brüllte einer: «Da vorne ist noch ei ner. Scheiße, wie viele waren die denn in dem Auto?»  
    Dann kam der, der das gesagt hat, zu mir. Scheiße, wie breit bin ich eigentlich und wo bin ich hier wieder gelandet. PsychopathenParty.
     
    Der Typ kam mir ganz nahe. «Er lebt, wir haben einen Überlebenden, Notarzt, schnell, hier ...»
    Ich brüllte den Penner an: «Natürlich lebe ich, du Arsch, aber du gleich nicht mehr, wenn du mich hier weiter so vollschwuchtelst!»
     
    Als ich ihn wegstoßen wollte, bemerkte ich einen akuten Mangel an Armen ...
     
     
     
    Tod frisst Familie
     
     
    Ich schlage eines seiner Bücher irgendwo in der Mitte auf. Bukowski. Hot Water Music. Erzählungen ...  
     
    «Tony?»
    «Ja?»
    «Bist du es Tony?»
    «Ja.»
    «Hier ist Dolly.»
    «Hey, Dolly, was tut sich denn so?»
    «Mach keine Scherze, Tony. Mutter ist gestorben.»
    «Mutter?»
    «Ja, meine Mutter. Heute Abend.»
    «Tut mir Leid.»
     
    «Ich bleib zur Beerdigung da. Ich komm dann gleich anschließend nach Hause.»
     
    Überall Tod. Zufällig. Ich taumle im Haus umher.
    Meine Mutter ist auch schon tot.
    Mein Mann auch, Gerüstbauerunfall.
     
    Gestern ist mein Sohn gestorben. Ein so genannter tragischer Verkehrsunfall. Wie nennt man eigentlich eine Mutter, die ihr Kind verliert?
    Ich nenne mich ‹KeineMuttermehr›. Obwohl ich eine bin, die eines toten Kindes. Obwohl dieses Wortgeschöpf nicht annähernd die Verzweiflung trifft, die meinen Körper und Geist zerteilt. Ich habe keine Tränen mehr.
    Mein Sohn wurde gefunden in einem Straßengraben. Sie hatten einen Unfall. Er und seine Freunde. Nur der Fahrer hat überlebt. Der hat aber auch keine Arme mehr.
      
    Mein Thomas ist tot. Er ist bei einem Aufprall auf einen Baum aus der Heckscheibe geschleudert wor den. Dabei hat sich der Kombi senkrecht den Baum hochgeschraubt. Danach ist die Karre wieder runtergerauscht, auf den Körper meines Sohnes und hat ihn zerquetscht.
     
    Ich trinke ein Glas Wasser. Esse einen Keks.
    Versu che zu weinen.
    Trauer aus dem Körper zu weinen.
    Sinnlos. Ich habe keine Tränen mehr.
     
    Ich bin jetzt allein in diesem Haus.
    Ich esse einen Joghurt. Trinke ein Bier.
    Ich habe ewig kein Bier mehr getrunken.
     
    Ich mache den Fernseher an.
    Nach zehn Sekunden sagt er: «Tod!»
    Ich schalte ihn wieder aus. Versuche zu weinen. Geht nicht.
     
    Denke an Harald. Meinen Mann. Seinen Unfall. Sein Grab. Gehe in Thomas’ Zimmer. Starre seine Bücher, seine CDs, seine Wände an.
    Gehe wieder raus.
    Lege mich in unser Ehebett.
    Harald und ich.
     
    Halte es nicht lange aus.
    Gehe in Haralds Hobby keller. Da im Schrank ist noch sein Werkzeug drin. Hole mir einen Schraubenzieher.  
    Kratze damit über meine Arme, bis Blut kommt.
    Das tut gut.
    Dann ramme ich mir den Schraubenzieher durch die Hand und endlich kann ich wieder weinen ...
     
     
     
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    Lyrik & Anderes
    Besserungsanstalt
     
     
    Ausgelachte
    Kleingemachte
    Überdachte
    Mit fetten Bäuchen
    An den Schläuchen
    Des Konsum
    Unabgenabelt
    Ganz verkabelt
    Kontrollierte Wesen
    Und Geschöpfe
    Sie verwesen
    Ihre Köpfe
    Sind zu leer
    Denken nicht
    Denken nicht mehr
    Sehen kein Licht
     
    Da es bald immer dunkel ist
    Und immer dunkel bleibt
    Wird Melancholie
    Als Temperament uns einverleibt
    Einem jeden, der bestehen will
    Und kann und muss
    Und Gnadenkuss
    Zum Schluss ein Schuss
     
    Zerteilt den Schädel
    Und kein Mädel
    In der Welt weint
    Weil es immer dunkel ist
    Und jeder/keiner hat’s gesehen
    Wie Gehirn durch die Atmosphäre strömt
    Man hat sich dran gewöhnt
    Denn alles wird multimedial
    Projiziert, scheißegal
    Ist nichts, um alles in der Welt
    Beschissen um alles
    Erschossen um nichts
    Abseits des Lichtes
     
    Findet Dunkelheit
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