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Ich & Emma

Ich & Emma

Titel: Ich & Emma
Autoren: Elizabeth Flock
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dir etwas von der Seele reden möchtest, nun, dann …” Ein großer Mann schiebt sich vor Mama. Es ist der, der den Zettel an unsere Tür geheftet hat, der Sheriff! Sein Gesicht sieht traurig aus, er blickt mir tief in die Augen und wartet, dass ich die Fragen beantworte, die sie mir immer und immer wieder stellen. Doch ihn anzusehen ist wie an einem sonnigen Tag durch eine Gardine zu schauen – ich kann Licht sehen, aber nicht die Umrisse erkennen. Was ist passiert, was ist passiert, fragen sie immer wieder – diese drei Worte, und ich schwöre bei meinem Leben, ich habe keine Ahnung, wovon sie sprechen.
    Ich blicke vom Sheriff zu Mama und wieder zurück, um einen Hinweis zu finden.
    Mama lässt sich nichts anmerken, ich muss die Antwort selbst herausfinden. Ich weiß nicht, Sir, sage ich dem Sheriff mit meinem Blick, weil mein Mund sich einfach nicht bewegen will. Ich weiß es wirklich nicht. Je angestrengter ich es versuche, desto weniger erinnere ich mich.
    Dann wie ein Blitz das Bild von Mr. Wilson, der etwas im Mondlicht Aufblitzendes in der Hand hält. Mr. Wilson, der so gut zu mir gewesen ist.
Ein Mann muss die Verantwortung für das übernehmen, was er tut.
    “Seit wann kannst du überhaupt schießen?” Mama lehnt sich in ihrem Stuhl zurück – ich schätze, sich zu mir zu beugen ist ihr zu anstrengend geworden. “Dein Daddy wurde mit einem Gewehr erschossen … und du hast dir das Schießen von einem Verrückten ihm Wald beibringen lassen. Sie hat keinen Respekt vor ihrem Daddy, überhaupt keinen.”
    “Mrs. Parker, bitte”, sagt der Sheriff. “Eins nach dem anderen.”
    Sie klopft mit ihrer Zigarettenschachtel auf den Handrücken, bis eine Zigarette herauskommt, steckt sie in den Mund, zündet sie, zieht lange und bläst den Rauch gegen die Decke.
    Die Stimme des Sheriffs ist weicher als die von Mama, ruhiger, sie schwebt durch die Luft und streichelt mich. “Möchtest du mir erzählen, was passiert ist, bevor wir kamen?”
    Ich schließe die Augen und sehe Richard, wie er am Küchentisch sitzt und Bier trinkt.
    “Carrie?”
    Noch eine Erinnerung, diesmal, wie mein Herzschlag in meinen Ohren dröhnt und ich die Treppe hinaufjage, um nach jemandem zu suchen.
    “Caroline?”
    Um nach jemandem zu suchen.
    “Lassen wir sie eine Weile in Ruhe.”
    Auf der Suche nach …
    “Na gut”, sagt sie von ihrem Platz aus. Sie könnte auch eine Million Meilen entfernt sein.
    Auf der Suche nach …
    “Emma”, stoße ich hervor.
    “Was? Was sagst du, Liebes?” Er kommt näher. “Was hast du gesagt?”
    Ich bin genauso überrascht über meine eigene Stimme, wie sie. “Emma.”
    Er blickt Mama an, die aussieht, als hätte alles Leben sie plötzlich verlassen, ihr Kopf sinkt auf die Brust – wie bei einer Stoffpuppe. Und dann schüttelt sie ihn ganz langsam.
    “Willst du mir etwas über Emma erzählen?”
    “Ich habe Emma gesucht.” Offenbar spreche ich sehr leise, denn er beugt sich so tief über mich, dass ich seinen Tabakatem riechen kann.
    “Du hast Emma gesucht …” Er will, dass ich weiter spreche, aber mehr weiß ich nicht.
    “Ach, Herrgott noch mal!” Mamas Stimme ist so müde wie ihr Kopf.
    “Warten Sie!” Der Sheriff hebt eine Hand. “Sprich weiter.”
    Mama, bitte, denke ich. Bitte hilf mir. Mach, dass es wieder gut wird, so wie Daddy früher. Bitte, Mama.
    Wieder ein Blitz. Richards Lachen zerschneidet meinen Kopf. Meinen Kopf, in dem es hämmert und hämmert, die Erinnerungen wollen kommen und dann wieder nicht. Eine Tür wird aufgestoßen. Richards Lächeln verblasst, er reißt die Augen auf. Es hämmert und hämmert. Meine Arme sind ganz schwer. Es hämmert.
    “Ich konnte Emma nicht finden.”
    Ein weiteres Bild: Mr. Wilson klettert die Stufen zu seinem Haus hinauf. Etwas Aufblitzendes.
    Der Mann legt sachte seine Hand auf meine, ich bin überrascht, wie leicht sie ist.
    “Er ist mit einem Gewehr ins Haus gegangen.”
    Mit meinem Blick fahre ich die gewundenen Venen auf seinem Handrücken nach. Kleine Flüsse.
    “Wer?” Der Sheriff fleht mich geradezu um eine Antwort an. “Wer ist mit einem Gewehr ins Haus gegangen?”
    Mir ist klar, dass ich ihm sagen muss, was ich gesehen habe. Ich muss meinen einzigen Freund verraten.
    Nein. Er kann es nicht gewesen sein. Nein.
    Ich kann mich selbst zu Emma sagen hören:
Es ist eine Sache, auf eine Dose zu schießen, aber eine ganz andere, einen Menschen zu erschießen. Egal, wie sehr er es verdient hat.
    Mr. Wilson könnte keiner
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