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Ich & Emma

Ich & Emma

Titel: Ich & Emma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Flock
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versuche zu verhindern, dass meine Tränen direkt in ihren blutigen Mund tropfen.
    Sie bewegt den Kopf ein wenig und blickt mich aus dem nicht zugeschwollenen Auge an. Ihre Lippen bewegen sich.
    “Mama?”
    “Geh”, wispert sie. “weg.” Sie holt Luft, aber nicht zu tief, offenbar tut es ihr weh zu atmen. “Sofort.”
    “Ich lass dich nicht allein, Mama.” Ich versuche wirklich, wirklich, ich versuche mit aller Kraft nicht zu weinen.
    “Schnell”, flüstert sie.
    Das Gebrüll drischt auf mich ein, noch bevor ich begreifen kann, was die Worte bedeuten.
    “Versuche, meine so genannte
Familie
durchzufüttern”, schreit er. Offenbar hat er mich nicht gehört. “Das isses, was ich
versuche.
Du Stück
Scheiße.”
    Er verstummt, um einen Schluck Bier zu trinken, und tritt dann gegen alles, was ihm im Weg liegt. Langsam bewege ich mich nach hinten, weil ich hoffe, ungesehen durch die Küchentür schlüpfen zu können.
    “Du hast doch die Preise gesehen in den Läden”, brüllt er Mama an, als ob sie in der Lage wäre, ein Gespräch zu führen. “Diese Läden
zwingen einen
doch geradezu, sie auszurauben! Was zum Teufel …”
    Zum Glück ist er betrunken und braucht eine Weile, um den Lärm zu orten, den ich mache, als ich über das zerbrochene Geschirr hopse. Wetten, dass er aufhört, mir hinterher zu rennen, sobald ich den Wald erreicht habe, der zwischen uns und Mr. Wilsons Haus liegt? Ich höre mich selbst keuchen. Lieber Gott. Ich muss Hilfe holen, bevor er Mama umbringt. Bitte, lieber Gott. Ich werde alles dafür tun. Ich werde nie mehr mit Emma zanken. Ich werde die Hausarbeit ganz ordentlich machen, so, wie Mama es möchte. Ich akzeptiere sogar Richard. Aber bitte, lieber Gott, lass mich rechtzeitig zu Mr. Wilson kommen.
    Peng!
    Der Knall reißt mich beinahe von den Füßen.
    Der Knall, den ich inzwischen ziemlich gut kenne. Es gibt kein Geräusch wie dieses. Ein Schuss ist gefallen.
Im Haus.
    Ich habe Bilder von einem Typen im Zirkus gesehen, der auf einem Drahtseil ganz weit oben in der Luft steht, als ob er festgeklebt wäre. Und genauso stehe ich im Augenblick da. Ich weiß nur nicht, ob ich auf dem Draht weiter zu Mr. Wilson gehen oder lieber nachsehen soll, was zu Hause passiert ist.
    Ich presse die Augen zusammen, sehe Mama wieder auf dem Boden liegen, das ganze Gesicht rot vor Blut. Und ich weiß die Antwort.
    Ich komme, Mama.
    Ich nehme jeweils zwei Stufen der Verandatreppe auf einmal, es ist mir egal, ob er hört, dass ich ins Haus komme oder nicht.
    “Mama?”
    Ich springe über Glassplitter, zerbrochenes Geschirr und anderem Kram, der auf dem Boden verstreut ist, auf dem sie noch immer liegt.
    “Mama?”
    Sie dreht den Kopf zu mir, also ist nicht sie diejenige, die umgebracht wurde. Langsam blicke ich mich in dem Raum um. Hinter dem Sofa ist es zu dunkel. Ich nehme die Lampe und halte sie wie eine Laterne vor mich. Zwar ist das Kabel nicht lang genug, aber zumindest wirft die Lampe etwas Licht in das hintere Teil des Zimmers.
    Und da ist er. Richard.
    Er liegt ausgestreckt auf dem Boden und sieht aus, als würden ihm die Glassplitter im Rücken nichts ausmachen. Seine weit offenen Augen scheinen die Decke zu studieren, ich habe Angst, zu ihm zu gehen … vielleicht ist das nur eine Falle, er tut so, als ob er tot wäre und packt mich, wenn ich näher komme. Ich halte mich so weit wie möglich von seinen Armen entfernt, die er ausgebreitet hat, als wolle er einen Engel im Schnee machen. Da entdecke ich das rote Loch in seiner Brust, aus dem mehr und mehr Blut hervorquillt.
    Er rührt sich nicht.
    Ich komme noch näher und sehe, dass seine Brust sich nicht bewegt. Es ist Richard, der erschossen wurde.
    Und für den Bruchteil einer Sekunde, für weniger sogar, sehe ich meinen Daddy vor mir liegen, wie sein Blut in den Linoleumboden sickert. Ich weiß nicht, wie das sein kann, denn Emma war es doch, die ihn gesehen hat … wahrscheinlich habe ich es mir einfach so oft vorgestellt, dass ich ihre Erinnerung übernommen habe.
    Emma.
    “Emma!” schreie ich, renne die Treppe hinauf zu unserem Zimmer. Sie ist nicht da. Sie ist nicht da?
    “Emma!” brülle ich, aber ich bekomme keine Antwort.
    “Mr. Wilson. Hilfe!” Als ob er mich von hier aus rufen hören könnte. Ich blöde Kuh.
    So schnell wie ich hineingerannt bin, renne ich auch wieder hinaus … den dunklen Weg entlang zur großen Straße … über die große Straße zu seinem Pfad, der mir jetzt viel steiler vorkommt. Steine stoßen

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