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Ich darf nicht vergessen

Ich darf nicht vergessen

Titel: Ich darf nicht vergessen
Autoren: Alice LaPlante
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dir, während du ein Loch in den Boden gräbst. Er greift in seine Hosentasche, holt eine Handvoll Münzen heraus und lässt sie in das Loch fallen. Dann hilft er dir, das Loch wieder zuzuschütten und die Erde festzuklopfen, damit man keine Spuren sieht.
    Ein vergrabener Schatz!, sagt er, und um seine Augen herum bilden sich Lachfalten. Aber weißt du, was dir noch fehlt?, fragt er. Eine Karte. Damit du die Stelle nicht vergisst. Damit du den Schatz später wiederfindest. Ich vergesse die Stelle nicht, sagst du. Ich vergesse nie etwas, und diesmal lacht er ganz laut. Nächstes Jahr kommen wir wieder her, dann werden wir ja sehen, ob du sie wiederfindest, sagt er. Aber dazu ist es nie gekommen.
    Ich muss los, sagst du und willst aufstehen.
    Die Frau beugt sich vor, legt dir eine Hand auf den Arm und drückt dich sanft, aber bestimmt zurück auf den Stuhl. Sie waren einen Moment lang woanders, sagt sie.
    Ich habe an meinen Vater gedacht, sagst du.
    Schöne Erinnerungen?
    Immer.
    Dafür sollten Sie dankbar sein. Eine kleine Weile sitzt sie reglos da, dann schüttelt sie den Kopf.
    Gestern Abend hat es da, wo Sie früher gewohnt haben, einen Vorfall gegeben. Ein Nachbar hat einen Einbruch gemeldet. Waren Sie das?
    Du hebst die Hände und zuckst die Achseln.
    Falls Sie das waren, waren Sie nicht allein. Der Nachbar hat zwei oder drei Personen vor Ihrem ehemaligen Haus beobachtet. Als unsere Leute dort eintrafen, war niemand mehr da.
    Plötzlich ertönt Musik. Eine Art Cha-cha-cha. Die Frau steht auf, nimmt ein kleines, metallenes Ding von einem Tisch, hält es sich ans Ohr, lauscht, sagt ein paar Worte. Sie schaut dich an, sagt noch etwas. Dann legt sie das Ding wieder weg.
    Das war Fiona, sagt sie. Sie ist unterwegs hierher.
    Wer ist Fiona?, fragst du. Die Bilder kommen und gehen. Es wäre dir lieber, wenn sie kämen und blieben, wenigstens eine Weile. Du magst diese Bilder. Ohne sie wäre die Welt ein öder Ort. Aber die Frau hört dir gar nicht zu. Plötzlich beugt sie sich vor. Sie konzentriert sich auf dich. Vertreibt auch den letzten Rest der Bilder mit ihrem harten Blick.
    Es ist Zeit für die Wahrheit, sagt sie. Warum haben Sie es getan?
    Warum habe ich was getan?, fragst du.
    Ihr die Finger abgeschnitten. Wenn ich das verstehe, kann ich mir den Rest selbst zusammenreimen. Wenn Sie Amanda getötet haben, dann werden Sie einen Grund dafür gehabt haben. Aber ich glaube nicht, dass Sie jemanden töten und ihn dann grundlos verstümmeln würden.
    Verstümmeln. Ein hässliches Wort, sagst du.
    Insgesamt eine hässliche Sache.
    Manche Dinge sind notwendig.
    Sagen Sie mir, warum. Warum war es notwendig? Sagen Sie es mir. Tun Sie es für mich. Wenn ich Sie festnehme, wenn Sie erst einmal in einer staatlichen Einrichtung untergebracht sind, ist es vorbei. Dann ist der Fall abgeschlossen. Aber nicht für mich. Für mich wird er nie abgeschlossen sein, es sei denn, ich verstehe, warum es passiert ist.
    Sie wollte nicht, dass es so weit kommt.
    Was? Was wollte sie nicht?
    Es hatte sich schon lange angebahnt.
    Manchmal spitzen sich die Dinge zu. Das verstehe ich. Wirklich.
    Es klopft an der Tür. Die Frau steht auf, lässt eine junge Frau mit kurzem Haar eintreten.
    Mom! Sie stürzt auf dich zu, umarmt dich, will dich gar nicht mehr loslassen. Gott sei Dank geht es dir gut. Wir haben uns ja solche Sorgen gemacht. Detective Luton hat uns der Himmel geschickt.
    Wir versuchen gerade, die Dinge zu rekonstruieren, sagt die ältere Frau.
    Das Gesicht der jüngeren Frau wird ernst. Ach ja? Erinnert sie sich? Was hat sie Ihnen erzählt?
    Bisher nichts. Aber ich habe das Gefühl, dass wir nahe dran sind. Sehr nah.
    Na, wunderbar, sagt die junge Frau traurig. Sie hat deine Hand immer noch nicht losgelassen, hält sie nur noch fester. Mom, schsch. Du brauchst überhaupt nichts zu sagen. Es spielt keine Rolle mehr. Sie können dir nichts Schlimmeres mehr antun. Man wird dich für nicht prozessfähig erklären. Verstehst du, was das heißt?
    Eine Sauerei.
    Ja, es war eine Sauerei, sagt die ältere Frau. Was haben Sie mit Ihren blutigen Kleidern gemacht?
    Mom, du brauchst die Frage nicht zu beantworten.
    Sie wurden weggebracht.
    Wer hat sie weggebracht?
    Du zuckst die Achseln. Zeigst.
    Mom … Die junge Frau schlägt die Hände vors Gesicht und lässt sich auf einen Stuhl sinken.
    Jennifer, was sagen Sie da?
    Sie. Die da. Sie hat
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