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Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Titel: Ich. Darf. Nicht. Schlafen.
Autoren: S. J. Watson
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kippe den Inhalt aufs Sofa. Mein Portemonnaie, ein paar Taschentücher, Stifte, ein Lippenstift. Eine Puderdose, eine Quittung für zwei Kaffee. Ein Notizbuch, sehr klein, mit einem Blumenmuster auf dem Deckel und einem eingesteckten Stift.
    Ich finde etwas, von dem ich annehme, dass es das Telefon sein muss, von dem Ben gesprochen hat – es ist klein, aus Plastik und mit einer Tastatur, die es wie ein Spielzeug aussehen lässt. Während es weiterklingelt, blinkt ein kleiner Bildschirm. Ich drücke einen Knopf, von dem ich hoffe, dass er der richtige ist.
    »Hallo?«, sage ich. Die Stimme, die antwortet, ist nicht Bens.
    »Hi«, sagt sie. »Christine? Spreche ich mit Christine Lucas?«
    Ich will nicht antworten. Mein Nachname kommt mir so fremd vor wie heute Morgen mein Vorname. Ich habe das Gefühl, dass das bisschen fester Boden, das ich mühsam gewonnen habe, wieder verschwunden ist, durch Treibsand ersetzt.
    »Christine? Sind Sie das?«
    Wer kann das sein? Wer weiß, wo ich bin, wer ich bin? Ich begreife, dass es Gott weiß wer sein könnte. Ich spüre Panik in mir aufsteigen. Schon schwebt mein Finger über dem Knopf, der das Gespräch beenden wird.
    »Christine? Ich bin’s. Dr. Nash. Bitte sagen Sie doch was.«
    Der Name ist mir fremd, aber ich sage trotzdem: »Wer ist da?«
    Die Stimme nimmt einen anderen Tonfall an. Erleichterung? »Hier spricht Dr. Nash«, sagt er. »Ihr Arzt.«
    Ein neuer Panikschub. »Mein Arzt?«, frage ich. Ich bin nicht krank, will ich hinzufügen, aber noch nicht mal das weiß ich. Ich merke, wie mein Verstand ins Trudeln gerät.
    »Ja«, sagt er. »Aber keine Angst. Wir arbeiten nur zusammen an Ihrem Gedächtnis. Ihnen fehlt nichts.«
    Ich registriere seine Wortwahl.
Wir arbeiten zusammen
. Er ist also noch jemand, an den ich mich nicht erinnere.
    »Was meinen Sie mit
arbeiten
?«, frage ich.
    »Ich versuche, Ihnen dabei zu helfen, Fortschritte zu machen«, sagt er. »Herauszubekommen, was genau Ihre Gedächtnislücken hervorgerufen hat und ob wir irgendwas dagegen tun können.«
    Das klingt vernünftig, aber mir kommt ein anderer Gedanke. Warum hat Ben mir nichts von diesem Arzt erzählt, ehe er heute Morgen zur Arbeit ging?
    »Und wie?«, frage ich. »Was machen wir?«
    »Wir treffen uns seit einigen Monaten häufiger. Etwa zweimal die Woche.«
    Es scheint unmöglich. Noch jemand, den ich regelmäßig sehe und der bei mir keinerlei Eindruck hinterlassen hat.
    Aber ich bin Ihnen noch nie begegnet
, möchte ich sagen.
Sie könnten Gott weiß wer sein
.
    Ich sage nichts. Dasselbe trifft auf den Mann zu, neben dem ich heute Morgen aufgewacht bin, und der hat sich als mein Ehemann entpuppt.
    »Ich erinnere mich nicht«, sage ich stattdessen.
    Seine Stimme wird weich. »Keine Sorge. Das weiß ich.« Wenn das stimmt, was er sagt, dann weiß er es nur allzu gut. Er erklärt mir, dass unser nächster Termin heute ist.
    »Heute?«, frage ich. Ich überlege, was Ben mir am Morgen gesagt hat, denke an die Liste von Aufgaben an der Tafel in der Küche. »Aber mein Mann hat mir kein Wort davon gesagt.« Mir fällt auf, dass ich den Mann, neben dem ich aufgewacht bin, zum ersten Mal so bezeichne.
    Ein kurzes Zögern am anderen Ende, dann sagt Dr. Nash: »Ich glaube nicht, dass Ben von unseren Treffen weiß.«
    Ich registriere, dass er den Namen meines Mannes kennt, sage aber: »Das ist doch absurd! Wieso sollte er nicht? Er hätte es mir gesagt!«
    Ein Seufzer. »Sie müssen mir vertrauen«, sagt er. »Ich kann Ihnen alles erklären, wenn wir uns sehen. Wir machen wirklich Fortschritte.«
    Wenn wir uns sehen. Wie soll das gehen? Der Gedanke, ohne Ben das Haus zu verlassen, ohne dass er auch nur weiß, wo ich bin oder bei wem, macht mir Angst.
    »Tut mir leid«, sage ich. »Ich kann nicht.«
    »Christine«, sagt er. »Es ist wichtig. Wenn Sie in Ihrem Notizbuch nachsehen, werden Sie feststellen, dass ich die Wahrheit sage. Haben Sie es da? Es müsste in Ihrer Tasche sein.«
    Ich nehme das Büchlein mit dem Blumenmuster vom Sofa und sehe erschrocken die Jahreszahl, die in goldenen Lettern auf dem Einband steht. Zweitausendsieben. Zwanzig Jahre weiter, als es sein sollte.
    »Ja.«
    »Schauen Sie auf das Datum von heute«, sagt er. »Dreißigster November. Da müsste unser Termin stehen.«
    Ich begreife nicht, wie es November sein kann – morgen Dezember –, aber ich blättere trotzdem die hauchdünnen Seiten bis zum heutigen Datum durch. Dort steckt zwischen den Blättern ein gelber Zettel,
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