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Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Titel: Ich. Darf. Nicht. Schlafen.
Autoren: S. J. Watson
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auf. »Fachliteratur?«
    »Ja. Es gibt ein paar Fallstudien über Sie. Ich hab mich mit der Einrichtung in Verbindung gesetzt, in der Sie behandelt wurden, ehe Sie wieder nach Hause konnten.«
    »Warum? Warum wollten Sie mich finden?«
    Er lächelt. »Weil ich dachte, dass ich Ihnen helfen kann. Ich arbeite schon länger mit Patienten, die ähnliche Probleme haben. Ich bin überzeugt, dass man ihnen helfen kann, aber sie benötigen eine intensivere Behandlung als die übliche eine Stunde pro Woche. Ich hatte ein paar Ideen, wie sich echte Fortschritte erzielen ließen, und wollte ein paar davon ausprobieren.« Er stockt kurz. »Außerdem habe ich eine Arbeit über Ihren Fall geschrieben. Die maßgebliche Arbeit, könnte man sagen.« Er lacht, verstummt aber wieder, als ich nicht mitlache. Er räuspert sich. »Ihr Fall ist ungewöhnlich. Ich glaube, wir können sehr viel mehr über die Funktionsweise des Gedächtnisses erfahren, als wir derzeit wissen.«
    Das Auto fährt vorbei, und wir überqueren die Straße. Ich merke, dass ich unruhig werde, angespannt.
Hirnstörungen. Erforschung. Sie ausfindig gemacht
. Ich versuche, ruhig zu atmen, mich zu entspannen, aber es gelingt mir nicht. Es gibt mich jetzt zweimal, in demselben Körper; die eine ist eine siebenundvierzigjährige Frau, ruhig, höflich, die weiß, welches Verhalten angemessen ist und welches nicht, und die andere ist Mitte zwanzig, und sie schreit. Ich kann nicht entscheiden, welche ich bin, aber die einzigen Geräusche, die ich höre, sind die Autos und der Lärm der Kinder im Park, daher vermute ich, dass ich die erste bin.
    Auf der anderen Straßenseite bleibe ich stehen und sage: »Hören Sie, was ist eigentlich los? Ich bin heute Morgen in einem Haus aufgewacht, das ich noch nie gesehen habe, in dem ich aber anscheinend wohne. Ich lag neben einem Mann, den ich nicht kenne und der mir sagt, dass ich seit über zwanzig Jahren mit ihm verheiratet bin. Und Sie scheinen mehr über mich zu wissen als ich selbst.«
    Er nickt bedächtig. »Sie haben Amnesie«, sagt er und legt eine Hand auf meinen Arm. »Sie haben schon sehr lange Amnesie. Sie können keine neuen Erinnerungen speichern, daher haben Sie so ziemlich alles vergessen, was Sie als Erwachsene erlebt haben. Jeden Tag wachen Sie auf, als wären Sie eine junge Frau. An manchen Tagen wachen Sie als Kind auf.«
    Irgendwie klingt es noch schlimmer, wenn er, ein Arzt, es ausspricht. »Dann ist es also wahr?«
    »Leider ja. Der Mann bei Ihnen zu Hause ist Ihr Ehemann Ben. Sie haben vor vielen Jahren geheiratet. Lange vor Beginn Ihrer Amnesie.« Ich nicke. »Sollen wir weitergehen?«
    Ich sage ja, und wir gehen in den Park. Ein Pfad verläuft außen herum, und in der Nähe ist ein Kinderspielplatz gleich neben einer Hütte, aus der ich Leute kommen sehe, die Tabletts mit Essen und Getränken tragen. Wir gehen in das Café, und ich setze mich an einen der rissigen Resopaltische, während Dr. Nash an der Theke Kaffee für uns bestellt.
    Als er zurückkommt, hat er in jeder Hand einen Plastikbecher mit starkem Kaffee, seiner mit, meiner ohne Milch. Er löffelt Zucker aus der Dose auf dem Tisch in seinen Kaffee, ohne mir welchen anzubieten, und das überzeugt mich mehr als alles andere, dass wir uns schon vorher begegnet sind. Er blickt auf und fragt mich, wie ich mich an der Stirn verletzt habe.
    »Was –?«, sage ich zuerst, doch dann fällt mir der Bluterguss ein, den ich heute Morgen gesehen habe. Mein Make-up hat ihn offensichtlich nicht kaschiert. »Das da?«, sage ich. »Ich weiß nicht. Ist jedenfalls nicht weiter schlimm. Tut gar nicht weh.«
    Er antwortet nicht. Er rührt in seinem Kaffee.
    »Mein Mann kümmert sich also zu Hause um mich?«, frage ich.
    Er blickt auf. »Ja, aber das war nicht immer so. Zuerst war Ihr Zustand so ernst, dass Sie rund um die Uhr betreut werden mussten. Erst seit einiger Zeit kann Ben Sie allein versorgen.«
    Dann ist das, wie ich mich jetzt fühle, also eine Verbesserung. Ich bin froh, dass ich mich nicht an die Zeit erinnern kann, in der es schlechter um mich stand. »Er muss mich sehr lieben«, sage ich, eher zu mir selbst als zu Dr. Nash.
    Er nickt. Eine Pause entsteht. Wir trinken beide einen Schluck Kaffee. »Ja. Das muss er wohl.«
    Ich lächele und schaue nach unten, auf meine Hände, die den heißen Becher halten, auf den goldenen Ehering, die kurzen Fingernägel, auf meine sittsam gekreuzten Beine. Ich erkenne meinen eigenen Körper nicht.
    »Warum weiß mein
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