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Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Titel: Ich. Darf. Nicht. Schlafen.
Autoren: S. J. Watson
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ich die einzig mögliche Antwort in Wahrheit schon weiß. Er drückt meine Hand.
    »Du konntest nicht mehr arbeiten. Nach dem Unfall. Du bist nicht berufstätig.« Offenbar spürt er meine Enttäuschung. »Musst du auch nicht. Ich verdiene nicht schlecht. Wir kommen zurecht. Es geht uns gut.«
    Ich schließe die Augen, lege eine Hand an die Stirn. Das wird mir alles zu viel, und ich möchte, dass er den Mund hält. Ich habe das Gefühl, dass ich nicht so viel auf einmal verarbeiten kann, und wenn er immer noch mehr draufpackt, fahre ich irgendwann aus der Haut.
    Aber was mache ich denn den lieben langen Tag?
, möchte ich fragen, aber weil ich die Antwort fürchte, sage ich nichts.
    Er hat seinen Toast aufgegessen und bringt das Tablett in die Küche. Als er zurückkommt, trägt er einen Mantel.
    »Ich muss zur Arbeit«, sagt er. Ich merke, wie ich mich innerlich verkrampfe.
    »Keine Sorge«, sagt er. »Alles wird gut. Ich ruf dich an. Versprochen. Denk immer dran, heute unterscheidet sich in nichts von irgendeinem anderen Tag. Alles wird gut.«
    »Aber –«, setze ich an.
    »Ich muss los«, sagt er. »Tut mir leid. Aber vorher zeig ich dir noch rasch ein paar Dinge, die du vielleicht brauchst.«
    In der Küche erklärt er, in welchen Schränken ich was finde, zeigt mir ein paar Reste im Kühlschrank, die ich am Mittag essen kann, und deutet auf eine an die Wand geschraubte Wischtafel neben einem schwarzen Textmarker an einem Stück Kordel. »Hier schreibe ich manchmal Nachrichten für dich auf«, sagt er. Ich sehe, dass er das Wort
Freitag
in akkuraten, gleichmäßigen Großbuchstaben hingeschrieben hat und darunter die Worte
Wäsche? Spaziergang? (Telefon mitnehmen!) Fernsehen?
Unter dem Wort
Lunch
hat er notiert, dass im Kühlschrank noch etwas Lachs vom Vortag ist, und
Salat?
hinzugefügt. Am Schluss hat er geschrieben, dass er gegen sechs wieder zu Hause sein müsste. »Du hast auch ein Notizbuch«, sagt er. »In deiner Handtasche. Hinten drin stehen wichtige Telefonnummern und unsere Adresse, falls du dich verläufst. Außerdem ist ein Handy drin –«
    »Ein was?«, sage ich.
    »Ein Telefon«, sagt er. »Schnurlos. Mobil. Du kannst es überall benutzen. Außerhalb des Hauses, überall. Es ist in deiner Handtasche. Schau aber lieber noch mal nach, falls du weggehst.«
    »Mach ich«, sage ich.
    »Prima«, sagt er. Wir gehen in die Diele, und er nimmt eine abgegriffene Ledertasche, die neben der Tür steht. »Dann geh ich jetzt.«
    »Okay«, sage ich. Ich weiß nicht, was ich sonst sagen soll. Ich fühle mich wie ein Kind, das nicht zur Schule darf und allein zu Hause bleibt, während die Eltern zur Arbeit gehen.
Fass nichts an
, höre ich ihn im Kopf sagen.
Vergiss nicht, deine Medizin zu nehmen.
    Er kommt zu mir herüber. Er küsst mich, auf die Wange. Ich hindere ihn nicht daran, aber ich erwidere den Kuss auch nicht. Er wendet sich zur Tür und will sie schon öffnen, als er verharrt.
    »Ach ja!«, sagt er und dreht sich zu mir um. »Das hätte ich beinah vergessen!« Seine Stimme klingt plötzlich gezwungen, die Begeisterung gespielt. Er strengt sich richtig an, natürlich zu wirken; offensichtlich hat er sich schon länger innerlich darauf vorbereitet, das zu sagen, was nun kommt.
    Und dann ist es doch nicht so schlimm, wie ich befürchtet habe. »Heute Abend fahren wir weg«, sagt er. »Nur übers Wochenende. Es ist unser Jahrestag, und da hab ich mir gedacht, ich buch uns ein Zimmer. Ist das in Ordnung?«
    Ich nicke. »Klingt doch nett«, sage ich.
    Er lächelt, wirkt erleichtert. »Mal was, worauf man sich freuen kann, nicht? Ein bisschen Seeluft? Wird uns guttun.« Er wendet sich wieder zur Tür und öffnet sie. »Ich ruf dich später an«, sagt er. »Frag nach, wie du zurechtkommst, ja?«
    »Ja«, sage ich. »Mach das. Bitte.«
    »Ich liebe dich, Christine«, sagt er. »Vergiss das nie.«
    Er schließt die Tür hinter sich, und ich drehe mich um. Ich gehe zurück in die Küche.
    ***
    Später am Vormittag sitze ich in einem Sessel. Der Abwasch ist erledigt und steht ordentlich auf dem Abtropfständer, die Wäsche ist in der Maschine. Ich habe mich beschäftigt.
    Aber jetzt fühle ich mich leer. Es stimmt, was Ben sagt. Ich habe keine Erinnerung. Nichts. Es gibt keinen Gegenstand in diesem Haus, den ich meine, schon einmal gesehen zu haben. Kein einziges Foto – weder rings um den Spiegel oben im Bad noch in dem Album vor mir – löst eine Erinnerung daran aus, wann es aufgenommen wurde. Ich kann
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