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Ich bleib so scheiße, wie ich bin

Ich bleib so scheiße, wie ich bin

Titel: Ich bleib so scheiße, wie ich bin
Autoren: Rebecca Niazi-Shahabi
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Rechtfertigung dafür, nicht Präsident der Vereinigten Staaten geworden zu sein. Irgendwie wurde das in seiner Umgebung von ihm erwartet – sonst müsste er nicht seinen sehr erfolgreichen Werdegang als Historiker und Schriftsteller mit seinen schwachen Nerven und seiner schwächlichen Konstitution rechtfertigen. Entstammte er einer armen Bergarbeiterfamilie, in der kaum einer seiner Vorfahren lesen und schreiben gelernt hatte, hätte er uns seine Lebensgeschichte ganz anders erzählt! Trotz Scharlach.
EINE WOCHE NICHT MEHR RECHTFERTIGEN
    Wir haben Angst, abgelehnt zu werden, wenn wir bestimmten Kriterien nicht entsprechen. Durch Geschichten, mit denen wir uns rechtfertigen, signalisieren wir wenigstens unsere Bereitschaft, nach dem Motto: Ich würde so gerne tun, was du von mir verlangst, aber dieses oder jenes hindert mich daran. Ich habe das als Kind nie gelernt; ein Trauma hat zu meinem Fehlverhalten geführt; ich bin überarbeitet, es tut mir so leid; ich habe das vorher nicht gewusst, jetzt habe ich eingesehen, dass ich mich ändern und an mir arbeiten muss, vielleicht eine Therapie oder ein Selbsterfahrungskurs . . .?
    Ängste kann man abbauen, indem man ihnen begegnet: Sagen Sie also nächstes Mal in Situationen, in denen man von Ihnen etwas verlangt, einfach nur: »Dazu habe ich keine Lust«, oder »Mach doch selber« oder »Gute Idee, aber für mich zu anstrengend.« Beobachten Sie, wie sehr diese Weigerung, sich zu rechtfertigen, Ihr Gegenüber ärgert. Wachsen Sie daran.
    Typische Erwartungen, die von unserer Umgebung an uns gestellt werden und denen Sie sich in Zukunft verweigern könnten:
    Warum verdienst du nicht mehr Geld?
    Sei doch mal romantischer!
    Du hattest dir doch vorgenommen, abzunehmen und mehr Sport zu machen.
    Ist dir eigentlich mal aufgefallen, dass du Kinder hast?
    Statt immer nur vor dem Computer zu hängen, könntest du auch mal ein Buch lesen.
    Glaubst du, alles dreht sich immer nur um dich?
    Weißt du eigentlich, dass sich Müll nicht von selber runterträgt und Einkäufe nicht durchs Fenster in den Kühlschrank fliegen?
    Hörst du mir eigentlich zu?
    Warum lässt du dir das alles gefallen?
    Du musst nicht jeden verachten, nur weil er dich langweilt, auch gewöhnliche Leute können nett sein.
    Meine Eltern sind auch Menschen.
    Man erlebt sich meistens nur dann als Erfinder seiner Rechtfertigungsgeschichte, wenn es einem partout nicht gelingt, sich etwas Überzeugendes auszudenken: Ich beneide Henry Adams, ich hatte nämlich als Kind keinen Scharlach, dabei hätte ich den gut gebrauchen können. Ich war als Schulkind sehr unsportlich und wurde damit von meinen Mitschülern, aber auch von meinen Eltern aufgezogen. Ich litt darunter, zumal ich es nicht ändern konnte. Die Coolness zu sagen, dass mir der blöde Sport keinen Spaß machte, hatte ich als Vierzehnjährige nicht. Deswegen wünschte ich mir sehnlich, dass unser Hausarzt beim nächsten Besuch eine Krankheit bei mir entdecken würde, welche meine sportlichen Leistungen in einem ganz anderen Licht erscheinen ließe. Ich malte mir aus, wie ich mit meinen Eltern im Sprechzimmer sitze und der Arzt meinen Eltern mitteilt, dass ich an der seltenen Krankheit XY leide und er sich frage, wie ich mich in dieser Verfassung überhaupt auf den Beinen halten könne. In diesem Augenblick würde meine mangelnde sportliche Performance zu einer körperlichen Höchstleistung aufsteigen. Die Krankheit würde mich ein für alle Mal vom Sportunterricht befreien, ich dürfte auf der Bank sitzen und lesen, Mitschüler würden sich bei mir entschuldigen, dass sie mich immer als Letzte in die Hockeymannschaft gewählt haben, und meine Eltern müssten mich zu Hause bedienen.
    Glücklicherweise brach keine Krankheit bei mir aus, die meine Unsportlichkeit hätte entschuldigen können, denn aus seiner eigenen Geschichte wieder auszusteigen, ist sehr schwierig. Am Anfang genießt man die Vorteile, doch irgendwann kommen auch die Nachteile. Entweder bleibt man länger krank, als einem lieb ist, oder man simuliert und muss fürchten, dass die Sache irgendwann auffliegt.
Ein anderes Ich, das ist kostspieliger als
der Verlust einer vollen Brieftasche,
versteht sich. Er müsste die ganze
Geschichte seines Lebens aufgeben,
alle Vorkommnisse noch einmal erleben,
und zwar anders, sodass sie nicht mehr zu
seinem Ich passen.
Max Frisch, »Mein Name sei Gantenbein«
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    Dabei wäre es doch vielleicht möglich, dass nicht nur die Rechtfertigung in Form der Krankheit
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