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Ich bin kein Serienkiller

Ich bin kein Serienkiller

Titel: Ich bin kein Serienkiller
Autoren: Dan Wells
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aber leer. In der Rückwand gab es nur ein einziges Fenster: klein, vergittert und gelb getönt. Vermutlich die Toilette. Den Platz hinter dem Gebäude konnte man von der Straße aus nicht einsehen. Deshalb, so hieß es in der Zeitung, gestalteten sich die polizeilichen Ermittlungen schwierig. Niemand hatte den Angriff gesehen oder gehört. Man nahm allerdings an, dass er um zehn Uhr abends stattgefunden hatte, als die meisten Bars noch geöffnet gewesen waren. Wahrscheinlich war Jeb auf dem Heimweg nach dem Besuch in einem Lokal umgekommen. Ich rechnete damit, auf dem Asphalt mit Kreide gezeichnete Umrisse vorzufinden – einmal den Körper und dann den Haufen Innereien daneben. Doch man hatte den ganzen Bereich mit einem Hochdruckreiniger behandelt, und das Blut und der Kies waren restlos verschwunden.
    Ich lehnte mein Fahrrad an die Wand und ging gebückt langsam hin und her, um zu erkunden, ob es noch irgendwelche Spuren gab. Der Asphalt lag im Schatten, war kühl und, nachdem die losen Steinchen weggespült waren, beinahe spiegelglatt. Sogar einen Teil der Mauer hatte man geschrubbt. Mit etwas Phantasie konnte ich mir leicht vorstellen, wo die Leiche gelegen hatte. Ich kniete nieder, und als ich den Boden betrachtete, entdeckte ich hier und dort ein paar purpurne Flecken, wo sich das geronnene Blut am Stein festgeklammert und dem Wasser widerstanden hatte.
    Bald danach fand ich auch einen dunklen Klecks, ungefähr so groß wie meine Hand, aber dunkler und zäher als Blut. Ich kratzte mit dem Fingernagel darüber und stieß auf etwas, das sich anfühlte wie fettiger Ruß, als hätte jemand einen Holzkohlengrill nicht ordentlich gesäubert. Ich wischte mir die Finger an der Hose ab und richtete mich auf.
    Es war seltsam, an der Stelle zu stehen, wo jemand gestorben war. Auf der Straße fuhren langsam die Autos vorbei, das Brummen war wegen der Mauern und der Entfernung etwas gedämpft. Ich überlegte mir, was hier geschehen war – woher Jeb gekommen war, wohin er gewollt und warum er diesen Hinterhof als Abkürzung benutzt hatte, wo er gestanden hatte, als der Killer ihn angegriffen hatte. Vielleicht hatte er gefürchtet, zu spät zu einer Verabredung zu kommen, und war durch den Hof gelaufen, um Zeit zu sparen, oder er war betrunken gewesen, hatte gefährlich geschwankt und nicht mehr genau gewusst, wo er war. Vor meinem inneren Auge sah ich sein rotes Gesicht. Grinsend, weil er nichts vom lauernden Tod ahnte.
    Auch den Angreifer stellte ich mir vor und überlegte – nur einen Moment lang –, wo ich mich versteckt hätte, wenn ich hier jemanden hätte töten wollen. Auf dem Hof gab es selbst am Tag viel Schatten. Der Zaun, die Mauern und der Boden bildeten seltsame Winkel. Vielleicht hatte der Mörder hinter einem Zementklotz gewartet oder hinter einem Telefonmast gehockt. Ich stellte mir vor, wie er im Dunkeln gelauert und mit scharfen Augen den betrunken stolpernden und wehrlosen Jeb beobachtet hatte.
    War er hungrig gewesen? Oder zornig? Die ständig wechselnden Theorien der Polizei warfen nur noch mehr Fragen auf. Welcher Angreifer konnte so brutal und doch so überlegt zuschlagen, dass die Hinweise sowohl auf einen Menschen als auch auf ein Tier deuteten? Ich dachte an spitze Krallen und schimmernde Zähne, die im Mondlicht einen Körper so brutal zerfetzten, dass das Blut in hohem Bogen an die Wand dahinter spritzte. Einen Teil der Wand hatte man bis fast zum Dach abgewaschen. Ein Beleg für die Wildheit des Angriffs.
    Ich trieb mich noch eine Weile herum und nahm nicht ohne Schuldgefühle alles begierig in mich auf. Dr. Neblin würde nach dem Grund meiner Verspätung fragen und mit mir schimpfen, wenn ich ihm sagte, wo ich gewesen war, aber darüber machte ich mir keine Sorgen. Dadurch, dass ich hergekommen war, hatte ich an den Grundlagen von etwas Größerem und Tieferem gekratzt und kleine Stücke aus einer Mauer geschlagen, die ich nicht durchbrechen durfte. Hinter dieser Mauer lauerte ein Monster, und ich hatte die Barriere extrastark gebaut, um es im Zaum zu halten. Jetzt regte und reckte es sich und träumte unruhige Träume. Anscheinend war nun ein neues Monster in der Stadt – würde es durch seine Gegenwart dasjenige wecken, das ich versteckt hielt?
    Zeit zu gehen. Ich kehrte zu meinem Fahrrad zurück und fuhr die letzten paar Blocks bis zu Neblins Praxis.
     
    »Heute habe ich eine meiner Regeln gebrochen«, berichtete ich, während ich durch das Rollo zur Straße hinausblickte. Wie in einer
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