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Ich bin kein Serienkiller

Ich bin kein Serienkiller

Titel: Ich bin kein Serienkiller
Autoren: Dan Wells
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unordentlichen Parade fuhren glänzende Autos vorbei. Ich spürte Dr. Neblins aufmerksamen Blick im Nacken.
    »Eine deiner eigenen Regeln?«, fragte er. Seine Stimme klang gleichmütig und ruhig. Er war einer der ruhigsten Menschen, die ich je kennengelernt hatte, aber andererseits war ich meist mit Mom, Margaret und Lauren zusammen. Seine Gelassenheit war einer der Gründe, warum ich ihn freiwillig aufsuchte.
    »Ich habe Regeln«, sagte ich, »damit ich nichts … Falsches tue.«
    »Kannst du ein Beispiel nennen?«
    »Meinen Sie für die Dinge, die ich nicht falsch machen will, oder für meine Regeln?«
    »Mich würde beides interessieren, aber du kannst beginnen, wo du willst.«
    »Dann beginnen wir lieber mit den Dingen, die ich vermeiden will«, entschied ich. »Die Regeln sind ja unverständlich, wenn Sie darüber nichts wissen.«
    »In Ordnung.« Ich drehte mich wieder zu ihm um. Er war klein, weitgehend kahl und trug eine kleine Brille mit runden Gläsern und einem dünnen schwarzen Gestell. Immer lag ein Notizblock vor ihm, und gelegentlich schrieb er etwas auf, wenn wir uns unterhielten. Das machte mich nervös, aber ich durfte seine Notizen jederzeit sehen, wenn ich wollte. Er schrieb nie etwas wie »Was für ein Irrer« oder »Der Bursche ist verrückt«, sondern einfach nur Kleinigkeiten, die ihm halfen, sich an unsere Gespräche zu erinnern. Ich bin sicher, dass er irgendwo auch ein Buch hatte, in dem »Was für ein Irrer« stand, aber das hielt er unter Verschluss. Falls er vorher keins besessen hatte, war er nach den ersten Sitzungen mit mir sicher auf diese Idee gekommen.
    »Ich glaube«, sagte ich und beobachtete sein Gesicht genau, »das Schicksal will, dass ich ein Serienkiller werde.«
    Er zog eine Augenbraue hoch, nichts weiter. Ich sagte ja schon, dass er sehr ruhig war.
    »Tja«, erwiderte er. »Offensichtlich bist du von Serienmördern fasziniert. Du hast vermutlich mehr über sie gelesen als jeder andere in der Stadt, mich selbst eingeschlossen. Willst du denn wirklich ein Serienkiller werden?«
    »Natürlich nicht«, antwortete ich. »Ich will ganz sicher vermeiden, ein Serienkiller zu werden. Ich weiß nur nicht, wie günstig meine Aussichten sind.«
    »Also versuchst du unter anderem zu vermeiden – was denn? Haufenweise Menschen umzubringen?« Er beäugte mich mit einem verschlagenen Ausdruck, was bedeutete, dass er einen Scherz machte. Wenn wir über schwierige Dinge sprachen, gab er oft sarkastische Bemerkungen zum Besten. Ich glaube, das war seine Art, mit seinen Ängsten umzugehen. Einmal, nach meiner Schilderung, wie ich Schicht um Schicht ein totes Erdhörnchen seziert hatte, waren sogar drei Scherze nacheinander gekommen, und er hatte beinahe gekichert. »Wenn du eine so wichtige Regel gebrochen hast«, fuhr er nun fort, »dann muss ich die Polizei einschalten, ob du nun mein Patient bist oder nicht.«
    Die Gesetze über die Vertraulichkeit zwischen Arzt und Patient hatte er mir in einer unserer ersten Sitzungen erklärt, als wir über Brandstiftung gesprochen hatten. Wenn er der Ansicht war, ich hätte ein Verbrechen begangen oder plante, eines zu begehen, oder wenn er glaubte, ich sei eine reale Gefahr für andere Menschen, dann war er nach dem Gesetz verpflichtet, die Behörden einzuschalten. Außerdem erlaubte ihm das Gesetz, alles, was ich sagte, mit meiner Mutter zu besprechen, ob er nun einen guten Grund dazu hatte oder nicht. Im Sommer hatten die beiden zahlreiche Diskussionen geführt, und anschließend hatte mir meine Mutter das Leben zur Hölle gemacht.
    »Die Handlungen, die ich vermeiden will, liegen ein paar Stufen niedriger als ein Mord«, sagte ich. »Serienkiller sind in gewisser Weise praktisch immer die Sklaven ihrer eigenen Zwänge. Sie töten, weil sie töten müssen, sie können sich nicht beherrschen. Da ich nicht bis zu diesem Punkt kommen will, habe ich Regeln für kleinere Dinge aufgestellt – etwa die, dass ich keinen Menschen allzu lange beobachten darf. Wenn ich es doch mal tue, dann bemühe ich mich, den Betreffenden eine ganze Woche lang nicht zu beachten und nicht einmal mehr über ihn nachzudenken.«
    »Demnach hast du Regeln aufgestellt, die dich an untergeordneten Verhaltensweisen von Serienmördern hindern sollen«, sagte Neblin, »weil du den großen Taten so fern wie möglich bleiben willst.«
    »Genau.«
    »Es ist interessant«, sagte er, »dass du das Wort Zwänge benutzt hast. Das klammert die Frage der Verantwortung aus.«
    »Aber ich
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