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Ich Bin Gott

Titel: Ich Bin Gott
Autoren: Giorgio Faletti
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Geschichte ist bekannt. Die fehlenden Teile werde ich mir nach und nach zusammensuchen.
    Zwei Wochen sind seit der Beerdigung von Viviens Schwester vergangen. Zwei Wochen, seit ich sie das letzte Mal gesehen und mit ihr gesprochen habe. Von dem Moment an ist mein Leben zu einem Karussell geworden, das sich so schnell dreht, dass die Bilder verwischen und ich sie nicht mehr unterscheiden kann. Jetzt ist es an der Zeit, das Karussell anzuhalten, denn ich verspüre plötzlich eine Leere, die auch die Lampen der Fernsehstudios, die Interviews und die Fotos auf den Titelseiten, für die ich mich diesmal nicht schäme, nicht füllen können. Die ganze absurde Angelegenheit hat mir gezeigt, dass ungesagte Worte manchmal gefährlicher und schädlicher sein können, als jene, die man laut herausschreit. Sie hat mir gezeigt, dass die einzige Möglichkeit, kein Risiko einzugehen, manchmal darin besteht, etwas zu riskieren. Und dass die einzige Möglichkeit, keine Schulden zu haben, darin besteht, keine zu machen.
    Oder sie zu bezahlen.
    Das ist es, was ich tun werde, sobald ich wieder in New York bin.
    Deswegen stehe ich vor dem Grab meines Bruders und betrachte sein Gesicht, das mich anlächelt. Ich erwidere das Lächeln und hoffe, dass er es sehen kann. Und mit all meiner diesseitigen und jenseitigen Liebe erzähle ich ihm etwas, wovon ich seit Jahren geträumt habe.
    » Ich habe es geschafft, Robert.«
    Dann drehe ich mich um und gehe.
    Jetzt sind wir beide frei.
    Der Aufzug hält auf meinem Stockwerk, und als die Türen auseinandergleiten, erlebe ich eine kleine Überraschung. An die Wand gegenüber vom Fahrstuhlschacht hat jemand mit Tesafilm ein Foto gehängt.
    Ich trete näher und schaue es mir an.
    Das Foto zeigt mich, im Profil. Gedankenverloren sitze ich in Bellews Büro, und meine Haare werfen einen Schatten auf mein Gesicht. Die Aufnahme hat mich in einem nachdenklichen Augenblick erwischt und den Zweifel und das Gefühl von Sinnlosigkeit, die ich damals empfand, perfekt eingefangen.
    Plötzlich sehe ich, dass links an der Wand oberhalb der Klingel ein weiteres Foto hängt.
    Ich nehme es in die Hand und schaue mir, indem ich es ins Licht vom Treppenhaus halte, auch dieses Bild aufmerksam an.
    Wieder bin ich das Motiv.
    Im Wohnzimmer des Hauses von Lester Johnson in Hornell. Ich habe vor Müdigkeit dunkle Ringe unter den Augen, doch mein Gesichtsausdruck ist energisch, als ich das Foto von Wendell Johnson und Matt Corey in Vietnam betrachte. An die Situation erinnere ich mich noch gut. Es war ein Moment, in dem alles verloren schien, und dennoch ist die Hoffnung plötzlich wieder aufgeflammt.
    Das dritte Foto klebt mitten auf der Tür.
    Wieder ich, und zwar als ich mir in der Wohnung in Williamsburg zum ersten Mal die Mappe mit den Zeichnungen anschaue. Als ich noch nicht wusste, dass es sich nicht um schlechte Kunstwerke handelt, sondern um die raffinierte Technik eines Mannes, seinem Wahnsinn eine Richtung zu geben. Ich erinnere mich noch, wie es mir in diesem Augenblick ging. Was für eine Miene ich gezogen habe, war mir nicht bewusst.
    Jetzt merke ich, dass die Wohnungstür nur angelehnt ist. Ich drücke dagegen, und sie öffnet sich mit einem leisen Quietschen.
    An der Wand gegenüber von der Eingangstür hängt ein weiteres Foto.
    Im schwachen Licht, das aus dem Treppenhaus hereindringt, kann ich das Motiv nicht genau erkennen. Ich kann mir aber vorstellen, dass auch dieses Foto mich darstellt.
    Das Flurlicht geht an. Ich mache einen Schritt in die Wohnung, eher neugierig als besorgt.
    Ein Blick, und plötzlich überfällt es mich und alle Schmetterlinge der Welt flattern in meinem Bauch.
    Mitten im Wohnzimmer steht Russell. Er lächelt und macht eine komische Handbewegung.
    » Werde ich nun wegen Hausfriedensbruchs festgenommen?«
    Ich bete zu Gott, dass er mich jetzt nichts Dummes sagen lässt. Bevor aber Gott die Zeit zum Einschreiten bleibt, habe ich es schon selbst geschafft.
    » Wie bist du denn hier hereingekommen?«
    Er hält mir den Schlüsselbund hin, den er noch in der Hand hat.
    » Mit diesem Schlüssel. Ich habe ihn dir nie zurückgegeben. Also fällt zumindest der Tatbestand des Einbruchs weg.«
    Ich gehe hin und blicke ihm in die Augen. Es ist kaum zu glauben, aber er sieht mich auf eine Weise an, wie ich es mir seit unserer ersten Begegnung gewünscht habe. Dann tritt er einen Schritt zur Seite und deutet auf den Tisch. Der ist für zwei gedeckt, mit einer weißen Leinentischdecke,
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