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Ich Bin Ein Schwein

Ich Bin Ein Schwein

Titel: Ich Bin Ein Schwein
Autoren: Tanja Steinlechner
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raus!“
    Ihre Augen waren hart wie Glasmurmeln und schillerten. Im Hintergrund leuchtete der Buddha vor dem fahlen Morgenhimmel. Die Luft war wirklich stickig hier drin. Die Zigarette glühte vor sich hin.
    „Moment mal“, sagte ich und schluckte noch einmal. Es half nichts. „Was ist hier eigentlich los, was hab ich denn gemacht?“
    Jeanne stand auf. Der Stuhl fiel polternd um. Ich zuckte. Die Zigarette lag auf dem Tisch und verbreitete den Geruch von verkohltem Holz. Jeanne riss die Decke von meinen Beinen und schrie mich an: „Du sollst hier verdammt noch mal verschwinden, verpiss dich und lass dich hier nie wieder sehen!“
    Ich sprang auf. Jeanne knallte mir meine Jeans vor den Körper, das Hemd, die Socken, ein Schuh flog an meinem Kopf vorbei und traf den Kleiderschrank.
    „Welchen Teil von ‚verpiss dich‘ hast du nicht verstanden? Bist du wirklich so bescheuert, wie du gerade aussiehst?“
    Von meinen kalten Füßen kroch eine Betäubung meine Beine hinauf, erreichte meinen Bauch, meine Brust, meinen benebelten Kopf. Meine Hände hielten automatisch eine Socke und mein Hemd fest. Ich spürte den Boden an meinen nackten Füßen nicht mehr.
    Der zweite Schuh traf meinen Mund. Ich fühlte meine Unterlippe heiß werden. Als ich die Hand hob und sie berührte, lief ein frischer, roter Tropfen über den Handrücken und fiel auf den Boden.
    „Ist das widerlich, du blutest mir alles voll! Raus hier, zum letzten Mal, raus!“ Jeannes Stimme überschlug sich, brach, ihr Gesicht war verzerrt bis zur Unkenntlichkeit, der Kimono halb offen, die goldbraune Haut ihres Bauchs sichtbar.
    Ich hob den Fuß und streifte ihm die Socke über, die ich in meiner blutbeschmierten Hand hielt, zerrte mir das Hemd über den Kopf, hob die Jeans auf, stieg hinein.
    Vor der Tür drehte ich mich noch einmal um, hob die Hand, wollte ihre Wange umfassen, da schlug sie mir ins Gesicht und stieß mich ins Treppenhaus.
    Ich stand vor der Tür und hörte, wie Jeanne dahinter in Tränen ausbrach, heulte, schniefte, brüllte, Dinge klirrten und polterten, und dann war es plötzlich still. Ich legte eine Hand auf die Tür.
    „Jeanne?“
    Ganz schwach hörte ich Wimmern.
    Neben mir ging eine Tür auf, eine dicke alte Frau schaute heraus, eine rosa Schürze über der Bluse, die grauen Haare so dünn, dass ich ihre fleckige Kopfhaut sehen konnte.
    „Was ist denn hier los?“
    Genau das fragte ich mich auch, während ich mit einem bloßen Fuß die Treppen hinunterwankte, das Auto fand, den Schlüssel in der Hosentasche, mich hineinfallen ließ und wie durch ein unverschämtes Wunder ohne Zwischenfall zu Hause ankam. Ich blieb so lange im Auto sitzen, dass ich mir irgendwann fast in die Hosen gepinkelt hätte.
    Jetzt liege ich wie damals im Bett, voll angezogen, die Decke bis zum Kinn, die Hand auf meiner Wange, wo sie mich das letzte Mal berührt hat. Ich sehe klarer, aber ich verstehe noch lange nicht. Vielleicht will ich auch nicht. Vielleicht ist es leichter, wenn ich nicht alles weiß. Dann kann ich mir zumindest einbilden, dass es so ist, wie ich es gern hätte.
    Ich ließ mich an diesem Montag vom erstbesten Arzt krankschreiben. Das hatte ich noch nie getan. Ich redete mir ein, dass ich nicht wollte, dass die anderen den Abdruck von Jeannes Fingern auf meinem Gesicht sahen. In Wirklichkeit rollte ich mich unter der Decke zusammen und fing an zu heulen.
    Bei jedem Schluchzer spürte ich den sachten Schmerz in meinem Anus.
    Irgendwann schlief ich ein.
    Am Dienstag fühlte ich mich, als hätte ich gar nicht geschlafen. Die Abdrücke auf meiner Wange waren verschwunden. Ich duschte eiskalt, trank zwei Tassen schwarzen Kaffee, zog mich an und fuhr ins Büro. Als ich erst mal da war, fiel es mir leichter als erwartet, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Es tat mir sogar gut.
    Am Abend hatte mein Unterbewusstsein eine Entscheidung getroffen. Ich würde bis nächsten Sonntag warten und dann zu Jeanne fahren, meiner tigresse, das war sie wirklich. Bis dahin würde sie mich vermissen, so wie ich sie schon jetzt vermisste. Wir würden uns ansehen und uns berühren, und dann wäre alles vergessen.
    Dachte ich.
    Der Likör kam frisch aus dem Kühlschrank, die Pfefferminztäfelchen aus dem kleinen Feinkostladen und das versilberte Armband in seiner schwarzen Satinschachtel war in meiner Hemdtasche versteckt. Meine Hände schwitzten und rutschten vom Lenkrad, ich wischte sie an meiner Jeans ab.
    Der Parkplatz vor Jeannes Haus war leer. Ich
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