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Ich bin der Herr deiner Angst

Ich bin der Herr deiner Angst

Titel: Ich bin der Herr deiner Angst
Autoren: Stephan M. Rother
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Polizeietat für das laufende Jahr war noch immer nicht bewilligt.
    Irgendjemand musste in diesem Schuppen nach dem Rechten sehen. Ein Mann mit Routine, dem Albrecht nicht jeden zweiten Tag auf die Finger schauen musste. Jemand, der sich erst dann wieder melden würde, wenn er Licht in die Sache gebracht hatte.
    Wie die Dinge lagen, kam niemand anders als Hartung in Frage.
    «Dieses eine Mal noch. Du würdest mir einen persönlichen Gefallen tun», sagte Albrecht und betonte jedes Wort.
    Er war mehr als zurückhaltend mit solchen eigenverantwortlichen Aufträgen, und der dicke Beamte wusste das so gut wie jeder andere auf dem Kommissariat.
    An seiner Reaktion, seinem knappen Nicken, erkannte Albrecht, dass der Mann verstand. Es war eine Auszeichnung, ein Vertrauensbeweis.
    Albrecht entspannte sich. Bis Hartung sich wieder meldete, konnte er die Existenz eines Clubs namens
Fleurs du Mal
vergessen.
    Und genau das war auch geschehen.
    «… was diese Videoaufzeichnungen betrifft, von denen damals die Rede war», beendete Hannah Friedrichs ihren Bericht. «Falls es tatsächlich irgendwelche Vorrichtungen gibt, haben wir bisher nichts gefunden. Aber streng genommen sind wir heute ja nicht deswegen hier.»
    «Nein.» Albrecht nickte. Er hatte Friedrichs aufmerksam zugehört. Die Kommissarin hatte sich streng an die Vorschriften gehalten. Kein Fehler, keine Nachlässigkeit.
    Wenn jemand einen Fehler begangen hatte, dann war er selbst es, Kriminalhauptkommissar Jörg Albrecht.
    Wie auch immer Ole Hartung auf diesen Stuhl gekommen war, entwürdigt, gedemütigt, seiner Männlichkeit beraubt: Er, Jörg Albrecht, trug die Verantwortung.
    Einer seiner Beamten war tot. Ergebnis eines Einsatzes, auf den Jörg Albrecht ihn geschickt hatte. Es war keine Frage, wer Sabine Hartung die Nachricht überbringen würde.
    «Absolute Nachrichtensperre», sagte er knapp. «Geben Sie das ans Revier durch! Kein Wort nach außen. Die Presse wird noch früh genug …»
    Er schüttelte den Kopf. Die widerwärtigen Details unter dem Deckel zu halten, das war das Letzte, was er für Ole Hartung tun konnte.
    ***
    «Er ist verblutet.» Martin Eulers Hand streckte Albrecht das vorläufige Protokoll entgegen. Sie war so blass, als ob sie selbst zu einem Toten gehörte. «Wir werden noch einige detaillierte Untersuchungen vornehmen, den Sauerstoffgehalt des Blutes prüfen, doch echten Zweifel kann es nicht geben.»
    Der Hauptkommissar nahm das ausgefüllte Protokoll entgegen. Gemeinsam mit Hannah Friedrichs hatte er im Vorraum des Tatzimmers auf die ersten Ergebnisse gewartet, während draußen vor den Fenstern eine fahle Dämmerung in die Nacht einsickerte. Jetzt saßen sie rund um einen niedrigen Tisch.
    Albrecht gönnte dem Papier nur einen kurzen Blick. Die Spurensicherung war eine Wissenschaft für sich, und Euler gehörte zu den besten Leuten in der Stadt. Wenn er sagte, dass Hartung verblutet war, dann war er verblutet.
    «Die Verletzung im Genitalbereich also?»
    Euler nickte und strich sich das widerspenstige Haar aus der Stirn. «Wir haben darüber hinaus mehr als zwei Dutzend weiterer Wunden festgestellt. Verletzungen un…» Er räusperte sich. «Unterschiedlicher Art. Oberflächliche Schnittwunden, punktuelle Verbrennungen, die vermutlich von einer brennenden Zigarette stammen, Striemen wie von einer Peitsche. Wir untersuchen diesbezüglich noch die einzelnen … Instrumente, die im Raum zurückgeblieben sind. Jedenfalls war keine dieser Verletzungen irgendwie lebensbedrohlich oder auch nur ernsthaft gefährlich. Die Schlussfolgerungen sind natürlich Ihre Sache, doch ich denke, wir sollten einkalkulieren, dass sie zum … zum …»
    «Dass sie zum Arrangement gehörten.» Albrecht neigte knapp den Kopf, faltete das Protokoll zwei Mal zusammen und ließ es in seine Manteltasche gleiten. «Und demnach einvernehmlich zugefügt wurden. – Können Sie feststellen, ob diese Wunden der Genitalverstümmelung vorausgingen?»
    Er sah, wie sich der Adamsapfel in Eulers Kehle bewegte. Selbst dieser Mann, bei dem der Umgang mit Toten zum alltäglichen Geschäft gehörte, war sichtbar erschüttert.
    Wie wir alle, dachte Albrecht. Doch gerade deswegen durften sie sich keinen Fehler erlauben. Das waren sie Ole Hartung schuldig, ganz gleich, wie er in diese Situation gekommen war. Sie standen in Hartungs Schuld.
    Und Jörg Albrechts Schuld war die größte.
    «Einige der leichteren Wunden hatten bereits begonnen, sich wieder zu schließen», sagte
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