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Ich bin der Herr deiner Angst

Ich bin der Herr deiner Angst

Titel: Ich bin der Herr deiner Angst
Autoren: Stephan M. Rother
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absoluter Sicherheit kann ich das natürlich auch nicht immer sagen. Doch es ist nun mal eine Tatsache, dass ich ihn sehr viel besser kannte, als er jemals für möglich gehalten hätte.
    Das war es, was die ganze Sache so schwierig machte – und zwar nicht so sehr für ihn, sondern vor allem für mich.
    Ihm hat es immer ausgereicht, sich im Designeranzug vor die Leute hinzustellen und seine cleveren Schlussfolgerungen zu ziehen. Den Leuten in die Köpfe gucken, das konnte er gut – nur von den Dingen, auf die es wirklich ankam, hat er nie viel mitgekriegt. Von dem nämlich, was in seinem eigenen Kopf vorging.
    Und das gilt nicht nur für die Jagd nach dem Traumfänger, sondern für all die Jahre unserer Zusammenarbeit.
    Aber um das zu verstehen, müssen wir dort anfangen, wo alle diese Albträume zu Hause sind, in Jörg Albrechts Kopf nämlich.
    Und das ist kein besonders erfreulicher Ort.
    Sie werden schon sehen.
    ***
    Drei Uhr fünfundvierzig.
    Der Radiowecker projizierte die digitalen Ziffern an die Wand des Schlafzimmers. Ein Geschenk seiner Tochter, und Hauptkommissar Jörg Albrecht fragte sich bis heute, was sie sich dabei gedacht hatte.
    Eine von tausend Fragen, über die sich ganz herrlich nachgrübeln ließ, wenn der Schlaf sich nicht für mehr als dreißig Minuten am Stück einstellen wollte.
    Es war noch eine der erfreulichsten.
    Albrecht warf sich auf die linke Seite und widerstand dem Impuls, den Wecker mitsamt der vorwurfsvoll glimmenden Leuchtschrift vom Nachttisch zu fegen. Er würde es morgen früh bereuen, wenn er das tat. In exakt zwei Stunden, genauer gesagt.
    Nadelspitzer Nieselregen peitschte gegen die Fenster seiner Etagenwohnung in Hamburg-Altona. Es war ein stürmischer Regen, doch nicht mal ihm gelang es, die Verkehrsgeräusche der zwei Häuserblocks entfernten Max-Brauer-Allee zu übertönen. Und das machte es für Albrecht unmöglich, sich vorzustellen, er läge jetzt in dem gemütlichen weichen Bett, in der Stille des historischen Bauernhauses in Ohlstedt, das sie mit dem Geld ausgebaut hatten, das eigentlich in seinen Rentenfonds hatte fließen sollen.
    Andererseits wäre selbst in diesem Bett nicht genug Platz gewesen für ihn und Joanna – und für ihren Dentisten Dr. Hannes Jork, der ga-ran-tiert nicht ständig Arbeit mit nach Hause brachte und nicht ansprechbar war, weil er einen dermaßen ekelhaften Fall am Wickel hatte, dass es ihm die Kehle zuschnürte. Nein, ganz gewiss nicht! Dieses Geschenk an die weibliche Hälfte der Schöpfung hatte ja einen ganzen Stall voller Vorzimmerhühner für alle unangenehmen Sachen. Und zu Hause – in dem mit dem Geld aus Albrechts Rentenfonds sanierten Bauernhaus in Ohlstedt – musste er sich dann auch nicht anhören, er sei ja nicht mal richtig
da
, wenn er
hier
sei, in dem Bauernhaus in …
    Mit einem Knurren wälzte Albrecht sich nach rechts, sodass er einen Blick durch die widerliche Plastikjalousie auf den widerlichen Regen und das Doppelglasfenster hatte, das beim Öffnen regelmäßig ein Geräusch von sich gab wie ein schlecht geölter Sargdeckel.
    Öffnen, ha! Joannas Wunderdentist hatte ga-ran-tiert keine Probleme mit dem Öffnen. Mit dem Von-der-Seele-Reden-was-dich-so-bedrückt. Mit dem Vertrauen, das man nach jahrelanger Ehe doch einfach haben musste. Dr. Hannes Jork hielt Albrechts Exfrau sicher en détail auf dem Laufenden, welcher seiner Patienten an der Mundhygiene sparte und wem die Keramikfüllungen für den dritten Backenzahn von hinten zu teuer waren. Kein bleiernes Schweigen. Keine Leichen, die er im Kopf mit sich rumtrug.
    Und keine schlaflosen Nächte.
    Nein, immer ein strahlendes Zahnklempnerlächeln, wenn er nach Hause kam, zu Joanna und den Mädchen.
    Zu Clara und Swantje.
    Zu Jörg Albrechts Töchtern.
    Du wirst jetzt nicht an die Kinder denken!
    Die Ziffern an der Wand sprangen auf drei Uhr siebenundfünfzig.
    Im selben Moment meldete sich Albrechts Handy.
    Er nahm den Anruf an, bevor es ein zweites Mal klingelte. Die Rufnummer hätte er im Schlaf hersagen können.
    «Hannah?»
    «Hauptkommissar?» Hannah Friedrichs’ Stimme klang irritiert. Im nächsten Moment fand sie zu ihrem gewohnten Tonfall zurück, in dem sich
Ich schicke Ihnen die Akte in Kopie
anhören konnte wie
Leck mich am Arsch
. «Sie sind schneller am Handy, als ich an den Wecker komme.»
    Kunststück, dachte Albrecht, wenn man schon wach ist.
    «Ich höre», murmelte er.
    Kriminalkommissarin Hannah Friedrichs war eine von drei Beamten auf
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