Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich bin der Herr deiner Angst

Ich bin der Herr deiner Angst

Titel: Ich bin der Herr deiner Angst
Autoren: Stephan M. Rother
Vom Netzwerk:
dem Revier, die sich in der Leitung der Nachtschicht abwechselten, wenn keine dringende Ermittlung anstand. Er war sich nicht ganz sicher, aber möglicherweise traute er ihr eine Spur mehr zu als dem Rest der Mannschaft. Vielleicht weil sie keine überflüssigen Worte machte. Die wenigsten Menschen konnten gleichzeitig denken und reden. Vor die Wahl gestellt, entschieden sich die meisten für das Reden.
    «Wir haben einen Toten.» Für einen Moment glaubte er in ihrer Stimme einen Ton zu hören, den er nicht einordnen konnte. Doch er konnte sich täuschen. Es war Nacht, und Stimmen veränderten sich mit der Dunkelheit.
    «Ich bin in zehn Minuten da.» Mit dem Handy am Ohr ging er ins Badezimmer. Der Spiegelschrank war halb blind, das Gesicht, das ihm entgegenblickte, verschwommen und fahl. Lange her, doch irgendwann musste er diesen Typen mal gekannt haben.
    «Kommen Sie direkt zur Bernhard-Nocht-Straße», sagte Friedrichs. «Den Peterwagen sehen Sie schon.»
    «Gut.» Albrecht kniff die Augen zusammen. «Wir sehen uns … dort.»
    Doch die Leitung war bereits tot.
    ***
    Zehn Minuten, hatte Albrecht gesagt. Wenn er sich das bis zum Revier zutraute, sollte es auch bis zur Bernhard-Nocht-Straße zu schaffen sein.
    Ich würde für jede Sekunde dankbar sein, die er früher kam.
    Das
Fleurs du Mal
schimpfte sich ‹Club›. Das taten diese Kaschemmen fast alle, schon weil sie wussten, dass wir wegen des Jugendschutzes ein Auge auf sie hatten. In den letzten Jahren war noch das Rauchverbot dazugekommen, um das sie auf diese Weise herumkamen.
    Was das
Fleurs du Mal
anbetraf, hatte es tatsächlich was Exklusives verglichen mit den üblichen versifften Läden abseits der Reeperbahn. Ich hatte kurz mit einigen der Mädchen gesprochen und festgestellt, dass sie nicht nur keine offensichtlichen Spuren von Misshandlungen aufwiesen, sondern obendrein tatsächlich sprechen konnten – unsere Sprache, und mehr als ein paar Brocken davon.
    Doch das war wohl auch notwendig. Das
Fleurs du Mal
war auf besondere Wünsche eingerichtet.
    In der Eingangshalle ahnte man noch nichts davon. Da war nichts als der übliche Plüsch zu sehen. Ich fragte mich seit Jahren, wo solche Möbel eigentlich herkamen: vom Antiquitätenhändler? Oder gab es irgendwo in der Stadt eine ganze Branche, die davon lebte, Omas Sperrmüllsofa für die Puffs von St. Pauli aufzuarbeiten?
    Worauf es in diesem Schuppen ankam, war mir erst klar geworden, als ich mir die Gemälde an den Wänden genauer angesehen hatte: Jede Menge Spitzentutus, Seide und Samtroben, so weit nichts Ungewöhnliches – aber hier war außerdem eine eindrucksvolle Auswahl von Peitschen, Knebeln und Handfesseln zu sehen. Und auf der ersten Etage gab’s dann was für jeden Geschmack: Zwei der Türen standen offen, und hinter einer davon hatte ich einen Pranger entdeckt, Direktimport aus dem Mittelalter. Die zweite führte geradewegs ins Himmelreich der Latexfreunde.
    Und dann war da natürlich die Tür, die jetzt verschlossen war und an der Lehmann auf meine Anweisung ein Siegel angebracht hatte, bis der Chef eintraf oder das Team von der Spurensicherung. Je nachdem, wer schneller da war. Ich schüttelte mich innerlich. Ich hatte nur einen knappen Blick in dieses Zimmer geworfen, doch das war schon ein Blick zu viel gewesen.
    Ich war wie betäubt, aber auf der Stelle war mir klar, dass das ein Fall für Albrecht war.
    Bis dahin allerdings musste ich die Gesellschaft von Madame Beatrice ertragen, der «Geschäftsführerin», während die Kollegen die Personalien der Mädels und ihrer Kunden aufnahmen.
    Die Puffmutter war eine imposante Erscheinung, dazu hätte sie nicht mal die messerlangen High Heels gebraucht. Ich schätzte die Frau ungefähr auf mein Alter, Mitte dreißig. Genau ließ sich das nicht sagen bei ihrem Frank ’n’ Furter-Look, der gleichzeitig dafür sorgte, dass ich aus ihren Reaktionen nicht richtig klug wurde.
    «Können Sie nicht wenigstens jetzt diesen Blaulichtwagen abziehen?»
    Sie sprach mit einem merkwürdigen Akzent:
ßie, dießen
. Irgendwas Osteuropäisches, oder versuchte sie den Hamburger Slang nachzumachen? Dann suchte sie sich die falschen Stellen aus.
    «Es gibt unser Haus seit mehr als drei Jahren, und wir haben einen Ruf …»
    «In Ihrem Haus ist heute ein Mensch zu Tode gekommen», erinnerte ich sie. «Mit Sicherheit haben Sie Verständnis dafür, dass unsere Ermittlungen in diesem Fall Vorrang haben. Wir werden alles so schnell wie möglich freigeben,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher