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Ich bin der Herr deiner Angst

Ich bin der Herr deiner Angst

Titel: Ich bin der Herr deiner Angst
Autoren: Stephan M. Rother
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Erziehungsprogramm?
    Neverdings Lebenswerk stand auf dem Spiel. Ob er mit uns kooperiert hätte, wage ich nicht zu mutmaßen. Aber er hätte auf der Stelle alles darangesetzt, die Gefahr auszuschalten. Maja auszuschalten, und Freiligrath dazu.»
    Ein Räuspern aus den hinteren Reihen.
    «Man könnte also sagen, dass sie Angst hatten», bemerkte Faber. «Deshalb musste Neverding sterben.»
    Albrechts Mundwinkel zuckte. Diese Sichtweise gefiel ihm.
    Obwohl ihm Freiligrath an dieser Stelle einen Vortrag gehalten hätte, dass es sich hier um eine
reale
Angst gehandelt hatte. Die Täterin und ihr Verbündeter hatten allen Grund gehabt, Neverding zu fürchten.
    Doch der Hauptkommissar blieb ernst.
    «Der entscheidende Punkt am Ende unserer Ermittlungen ist, dass wir den Fall geklärt haben. Und doch …»
    Sein Blick glitt über die Reihen seiner Mitarbeiter.
    «Wir stehen in einem Kampf», sagte er leise. «Einem Kampf um die Wahrheit. In diesem Fall ist es uns gelungen, die Tatbestände aufzuzeigen, wie sie sich in Wahrheit verhalten. Doch welche Konsequenzen ergeben sich daraus?
    Die Täterin ist jedem Zugriff irdischer Gerechtigkeit entzogen.
    Max Freiligrath, der diese mörderische Konstruktion jahrzehntelang zurechtgebastelt hat …»
    «Heute Morgen sind neue Hinweise reingekommen.» Hauptmeister Winterfeldts Mähne tauchte hinter seinem Laptopbildschirm auf. «Er ist auf Sylt gesichtet worden.» Leiser. «Und am Bodensee.» Noch leiser. «Und auf einem Kreuzfahrtschiff im Pazifik.»
    «Aloha!»,
knurrte der Hauptkommissar. «Überall und nirgends. Vielleicht hören wir nochmal von ihm, wenn er seine abschließenden wissenschaftlichen Erkenntnisse publiziert. In Burkina Faso oder sonst wo, wo wir nicht an ihn rankommen.»
    Ein neues Räuspern.
    «Sie sollten sich nicht zu große Vorwürfe machen, Hauptkommissar», bat Faber. «Was hätten Sie tun sollen? Wenn Sie nicht geschossen hätten …»
    Albrecht wechselte einen Blick mit Hannah, rasch wie der Flügelschlag eines Kolibris.
    Sie war die Einzige, die wusste, wessen Hand es in Wahrheit gewesen war, die die Kugel abgefeuert hatte, durch die Maja Werden gestorben war.
    Die Einzige außer ihm selbst. Er hatte die Schuld auf sich genommen.
    Notwehr in Ausübung des Dienstes. Maja Werdens Tötung war disziplinarrechtlich sein geringstes Problem.
    Und was Horst Wolfram anging …
    Es war ein Gefühl gewesen, nein, mehr als das: Er war es diesem Mann schuldig gewesen, der vierundzwanzig Jahre lang durch die Hölle gegangen war, um am Ende der größten seiner Ängste gegenüberzustehen.
    Durch Jörg Albrechts Schuld.
    «Wenn Sie nicht geschossen hätten, wäre nicht nur Freiligrath entkommen, sondern alle beide», stellte Faber fest. «Schließlich hatten sie alles vorbereitet. Und Sie selbst … und Horst Wolfram …»
    Der glatzköpfige Beamte warf einen Seitenblick in Richtung Irmtraud Wegner.
    «Wir haben gestern Abend telefoniert.» Die Sekretärin strahlte mit dem Sonnenblumendruck auf ihrem grellbunten Kleid um die Wette. «Es geht ihm sehr, sehr viel besser. Nächste Woche fahre ich runter … Also hoch, eigentlich, in die Schweiz.» Sie zögerte und sah den Hauptkommissar an. «Also, wenn Sie wirklich denken, Sie kommen ohne mich …»
    «Bitte», murmelte Albrecht. «Bitte, fahren Sie! Sie haben sich den Urlaub weiß Gott verdient.»
    Wolfram sowieso, dachte er. Was auch immer die Veränderung im Befinden seines Amtsvorgängers ausgelöst hatte: Vielleicht ja tatsächlich Maximilian Freiligraths absonderliche Rückführung – oder ganz einfach der Umstand, dass er nun endlich Gewissheit hatte über das Schicksal seiner Tochter. Gewissheit wie ein Mensch sie nur haben konnte, nachdem er die junge Frau mit eigener Hand erschossen hatte.
    Der Beweis. Der Beweis, dass Freiligrath recht gehabt hatte in der Einschätzung von Horst Wolframs größter Angst:
    Nicht der Tod seiner Tochter, sondern die Vorstellung, dass dieses kleine Mädchen auf die dunkle Seite wechseln, zum Feind dessen werden könnte, wofür dieser Mann sein Leben lang gekämpft hatte: Recht und Ordnung. Gerechtigkeit. Sicherheit.
    Er hatte seine Tochter getötet und die Gerechtigkeit wiederhergestellt.
    Jörg Albrecht durfte nicht darüber nachdenken.
    Er durfte nicht darüber nachdenken, dass er geglaubt hatte, diesem Mann ähnlich zu sein.
    Doch zumindest in einem Punkt hatte Freiligrath sich geirrt. Selbst die Konfrontation mit seiner größten Angst hatte Wolfram nicht
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