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Ich bin der Herr deiner Angst

Ich bin der Herr deiner Angst

Titel: Ich bin der Herr deiner Angst
Autoren: Stephan M. Rother
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ausgestrecktem Arm hätte er mich berühren können.
    Doch er rührte sich nicht, bis wir uns wie auf ein lautloses Kommando umdrehten und mit langsamen Schritten nebeneinander hergingen, auf die Brücke zu, die sich über einen kleinen Alsterzufluss spannte.
    «Du siehst …» Er räusperte sich. «Du siehst gut aus.»
    Ich nickte stumm. Nach dem Meeting im Besprechungsraum hatte ich zwanzig Minuten vor dem Spiegel auf dem Damenklo verbracht. Ich war ganz zufrieden, nein, sogar etwas mehr als das.
    Vier Wochen, dachte ich. Vier Wochen seit dem Abend in Königslutter, und es war eine seltsame Zeit gewesen. Wir hatten uns Mühe gegeben, Dennis und ich, alle beide. Noch ließ sich nicht mit
Sicherheit
sagen, was sich aus dem Bemühen um pünktlichen Feierabend und mehr gemeinsame Unternehmungen entwickeln würde, doch bisher …
    Es fühlte sich gut an. Und irgendwie färbte das ab.
    «Ich wollte mich entschuldigen», sagte Joachim. Wir waren vor der Brücke stehen geblieben. «Dass ich dich in die ganze Sache reingezogen habe.»
    Enten auf dem Wasser. Einen Moment lang musste ich an den kleinen Raoul denken, an Oliver und Kerstin. Wie oft begreift man nicht, was man hat, bis man im Begriff ist, es zu verlieren.
    «Das hast du schon», murmelte ich. «In Königslutter. Dich entschuldigt. – Und
das
hast du nicht. Mich reingezogen. Diese Ermittlung war mein Fall, und in alles andere habe ich mich selbst reingezogen.»
    «Na ja …»
    Seltsam. Ungemütlicher Wind von der Alster. Irgendwie hätte ich mich nicht gewundert, wenn er sich mit dem Ärmel seines sauteuren Mantels wie ein Drittklässler die Nase abgewischt hätte.
    «Na ja, ich hab das schon ein bisschen ausgenutzt, dass du in den Tagen ziemlich …» Er hob die Schultern. «Neben der Spur warst?»
    Ich drehte mich langsam zu ihm um. «Möglich», sagte ich. «Aber nein sagen konnte ich immer noch. Wenn ich die Kontrolle abgebe, dann weil ich die Kontrolle abgeben
will

    Für eine Sekunde war eine Veränderung auf seinem Gesicht zu sehen. Ein Ausdruck der … der Verblüffung? Ich war mir nicht sicher, was ich sah, vielleicht für einige wenige Lidschläge den echten Joachim Merz.
    Doch schon fing er sich wieder.
    Schweigen. Nach ein paar Sekunden begann es unangenehm zu werden.
    «Jedenfalls ist alles gutgangen», sagte ich achselzuckend. «Was den Job betrifft. Es gibt kein Nachspiel für mich.»
    Er nickte.
    Ich kniff die Augen zusammen.
    Er
hatte
sich gefangen. Ein Joachim-Merz-Nicken. Eine winzige Geste, in der sich eine Menge transportieren ließ, wenn man Joachim Merz war.
    Ein
wissendes
Nicken.
    Sicher: Er war Anwalt. Doch die Untersuchungen gegen das Kommissariat, gegen Albrecht, gegen mich, obwohl das nie ausgesprochen worden war: Das war ein internes Verfahren innerhalb der Behörde gewesen. Kein Mensch von außen konnte …
    Solange alle dichthielten, dachte ich. Solange die Angelegenheit nicht Kreise zog.
    In den höchsten Kreisen der Gesellschaft.
    Heute war noch ein zweites Verfahren eingestellt worden, die Ermittlungen wegen der Videoaufnahmen im
Fleurs du Mal
.
    Es gibt einen Deal mit der Staatsanwaltschaft.
    Das waren die Worte der Polizeipräsidentin gewesen.
    Wer mochte diesen Deal ausgehandelt haben?
    Und in wessen Auftrag?
    Isolde Lorentz hatte
sehr
zufrieden ausgesehen, als sie aus dem Raum stolzierte.
    Ich musste an das körperbetonte Kostüm denken, das sie heute getragen hatte. Und an die Jack-Wolfskin-Jacke im Sachsenwald, die ich ihr nicht zugetraut hatte.
    Es gab einiges, was ich Isolde Lorentz niemals zutrauen würde …
    Diesmal war ich es, die sich räusperte.
    «Sag mal, was ich dich immer noch fragen wollte …», tippte ich vorsichtig an. «Auf diesen Videos war nicht zufällig eine, äh, rothaarige Frau dabei?»
    Joachim betrachtete mich.
    Ein fast unsichtbares Zucken der Mundwinkel, wie nur er es hinbekam.
    Doch es war deutlich genug.
    Ein Deal.
    Über die Vorgänge im
Fleurs du Mal
würde der Mantel des Schweigens gebreitet werden, ebenso wie über sämtliche Verfehlungen, die Albrecht und ich uns möglicherweise hatten zuschulden kommen lassen.
    So spielen die Großen, dachte ich.
    Und irgendwie können am Ende alle zufrieden sein.
    Nur eins bleibt auf der Strecke: die Wahrheit.
    «Ich wollte dir niemals wehtun», sagte er unvermittelt. «Und ich habe auch nicht …» Er holte Luft. «Ich habe dich nicht angelogen, Hannah. Jedes Wort war die Wahrheit. Ich hab mir Sorgen um dich gemacht, und ich habe … ich
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