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Ich arbeite in einem Irrenhaus

Ich arbeite in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite in einem Irrenhaus
Autoren: Martin Wehrle
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mit der Zigarre, der menschliche Blutsauger verbunden. Der anständige Weg führt in eine Festanstellung. 4
    Doch viele Gründer werden von einem fleißigen Gehilfen unterstützt: ihrem jugendlichen Übermut. Sie lenken, ehe sie denken. So ging auch Bill Gates ans Werk, als er 1975 mit nur 19 Jahren Microsoft aus dem Boden einer Garage stampfte. Vorteil der Jugend: Wenn der Gründer schnell pleitegeht, bleiben ihm 60 Jahre, um seinen Gläubigern das Geld zurückzuzahlen.
    Und wenn seine Firma wie eine Rakete durchstartet? Dann ist niemand so überrascht wie er selbst. Seine Schockstarre hält an, bis ihn die anschwellende Arbeitslawine unter sich begräbt. Jetzt braucht er fleißige Hände, die ihn wieder ans Licht buddeln.
    Welche Eigenschaft müssen die ersten Mitarbeiter haben? Schon manches Anforderungsprofil habe ich zusammen mit Gründern entwickelt – und am Ende in den Papierkorb gesteckt. Denn mit einem Kettcar lassen sich keine Formel-1-Piloten und mit einer leeren Firmenkasse keine Hochqualifizierten anlocken. Die billigsten Bewerber – meist Bekannte des Gründers – bekommen den Zuschlag, auch wenn ihr Gehalt nur eine geringe Qualifikation, wenig Erfahrung und schlimmstenfalls Talentmangel spiegelt.
    Damit ist ein Saatkorn für den späteren Irrsinn gepflanzt. Die Gründungstruppe ist oft ein Kompetenzfrei-Team. Aber ausgerechnet diese Mitstreiter der ersten Stunde betrachtet der Gründer als Erste unter Gleichen. Der Ritterschlag einer Beförderung trifft sie unvermeidlich, sobald der Rubel zu rollen und das Personalkarussell sich zu drehen beginnt.
    In der Dorfkultur kennt jeder jeden. Die Entscheidungswege sind Katzensprünge. Eine Idee, die dem Mitarbeiter nach dem Frühstück kommt, nickt der Gründer noch vor dem Mittagessen ab. Der Antrag auf eine Dienstreise besteht aus der Aussage: »Ich flieg dann mal nach Zürich.« Eine neue Planstelle entsteht durch den Satz: »Ich muss jemanden einstellen!« Und über Gehaltserhöhungen wird grundsätzlich nur dann gesprochen, wenn der Chef in der Kneipe schon so besoffen ist, dass ihm ein »ja« (mit zwei Buchstaben) leichter als ein »nein« (mit vier Buchstaben) über die Lippen geht.
    Viele Abteilungen bestehen aus einem einzigen Mitarbeiter. Wenn ich in solchen Firmen anrufe und den Gründer sprechen will, höre ich oft Antworten wie: »Der hat gerade noch einen Brief geschrieben. Und jetzt ist er rüber zur Post gelaufen. Danach will er noch im Bürogeschäft vorbeischauen.« Jeder Einwohner des Firmendorfes weiß, was der andere gerade macht. Die Informationen werden wie Tennisbälle hin und her gespielt.
    Der Gründer ist nicht nur Geschäftsführer, sondern zur gleichen Zeit Personalchef, Produktionsleiter, Controller und Werbeagentur. Sein Firmendorf regiert er wie ein Bürgermeister. Jeden Tag sieht, spricht, erlebt er seine Mitarbeiter, werkelt an ihrer Seite und hört im Detail, was läuft und was hakt. Niemals käme er auf die Idee, darüber ein Protokoll anzufertigen. Wozu auch? Es hören ja alle mit!
    Seine Mitarbeiter kennt der Gründer so gut, dass er ihren zweiten Vornamen auf Anhieb nennen und ihren Lieblingsdrink an der Bar ohne Rücksprache bestellen kann. Einige Firmen kommen nie über diese Größe hinaus. Diese Zwerge unter den Firmen bleiben Klein- oder Kleinstbetriebe.
    Andere Firmen bekommen ein gewaltiges Problem: Der Erfolg lässt sie wachsen.
    2. Dschungelkultur
    Mehr Aufträge, mehr Mitarbeiter, mehr Büros – mehr Chaos. Bislang war alles so übersichtlich, dass der einzige Dienstweg der Firmenflur war. Jetzt, da die Firma größer wird, fehlen die Strukturen. Wofür eine Abteilung zuständig ist, auf welchem Weg Informationen fließen, wie weit die Entscheidungsbefugnisse gehen – nichts ist geregelt. In der Dorfkultur arbeiten alle miteinander. In der Dschungelkultur arbeiten alle aneinander vorbei.
    In einer jungen Internetfirma wurde zum Beispiel dringend ein Kalkulator gesucht, da die Ausgaben aus dem Ruder liefen. Der Gründer wäre nie auf die Idee gekommen, die Stelle auszuschreiben. Er trommelte seine Leute zusammen und bat sie, einen solchen Mitarbeiter aufzutreiben.
    Diesem Wunsch wurde Folge geleistet. Allerdings von zwei Mitarbeitern, die jeweils durch mündliche Zusage einen Bekannten anheuerten – was im allgemeinen Durcheinander erst auffiel, als sich zwei Leute auf denselben Stuhl setzen wollten. Beide übrigens keine gelernten, sondern nur angelernte Kalkulatoren.
    Das Chaos ging in dieser
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