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Ich arbeite in einem Irrenhaus

Ich arbeite in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite in einem Irrenhaus
Autoren: Martin Wehrle
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jeder von Problemen erzählt.
    Die Wahrheit dringt deshalb nicht zum (Top-)Management vor, weil die Mitarbeiter Angst haben, als Boten schlechter Nachrichten geköpft zu werden. Das Phänomen, dass die Realität zum Chefbüro keinen Zutritt hat, haben Psychologen mit einem treffenden Begriff belegt: »Geschäftsführer-Krankheit«. 6
    Der Liefertermin für die Maschine wurde übrigens nicht nur einmal, sondern insgesamt dreimal verschoben. Der Konzern schoss einen kapitalen Bock. Wie Honecker. Nur nicht mit der Flinte.
    Betr.: Wie unser Chef sein Stauproblem beendete
    Unsere Vertriebsfirma sitzt in einer großen Stadt in Norddeutschland. Letztes Jahr wurde uns von der Geschäftsleitung mitgeteilt, wir müssten leider umziehen, der Vermieter des Firmengebäudes habe Eigenbedarf angemeldet. Der neue Firmensitz liege am nördlichen Rand der Stadt, nicht mehr am südlichen.
    Das war für viele Mitarbeiter eine Katastrophe: Sie hatten Häuser gebaut, Wohnungen gemietet und Schulen für ihre Kinder ausgesucht, die günstig zum Firmensitz lagen. Jetzt trennte sie von ihrem Arbeitsplatz eine der stauträchtigsten Strecken Deutschlands. Die zusätzliche Fahrzeit lag bei locker einer Stunde. Etliche Mitarbeiter hielten nach neuen Wohnungen Ausschau. Andere wollten sogar die Firma verlassen.
    Der Hammer: Eines Tages hing an unserem alten Gebäude ein neues Firmenschild. Wir fanden heraus: Unsere Firma hatte den Mietvertrag selbst aufgelöst – die »Eigenbedarfskündigung« war eine Lüge gewesen.
    Den wahren Hintergrund ließ eine Assistentin durchblicken: Der Geschäftsführer lebte am südlichen Stadtrand. Seinen staureichen Arbeitsweg hatte er immer verflucht. Und als er eines Tages erfuhr, dass ein Gebäude in seinem Stadtteil frei wurde, hatte er die Chance beim Schopf gepackt – ohne Rücksicht darauf, dass dieser Umzug für nahezu alle seiner 250 Angestellten eine Zumutung war.
    Seither zählen etliche Mitarbeiter einen Teil des zusätzlichen Arbeitsweges beim Aufschreiben ihrer Arbeitsstunden hinzu. Ich übrigens auch.
    Michael Kaiser, Bürokaufmann
    § 4 Irrenhaus-Ordnung: Nicht der Chef hat sich nach den Realitäten zu richten, sondern die Realitäten richten sich nach dem Chef.
    Wenn die Sparwut auf den Keks (los)geht
    Wer kann schon von sich behaupten, ein reicher Araber habe ihn auf ein paar Kekse eingeladen? Meine Klientin Jana Heimfeld (32) kann das. Der Haken an der Geschichte: Nicht sie war zu Besuch bei dem Araber, sondern er in ihrem Unternehmen. Eigentlich war sie die Gastgeberin und hätte Kekse anbieten müssen. Eigentlich!
    Doch der technische Weltkonzern, für den Heimfeld arbeitete, hatte einige Jahre zuvor den Rotstift gezückt. Ein Sparprogramm mit klangvollem Namen, nennen wir es »Lean Costing 2015«, sollte den bröckelnden Gewinn kompensieren. Ein Stoßtrupp junger Unternehmensberater hatte die Konzernzentrale durchpflügt. Die jungen Sparkommissare, deren eigene Tätigkeit ein kleines Vermögen verschlang, nahmen jeden Ausgaben-Cent ins Visier.
    Als die Berater-Heuschrecken die Kostenlandschaft abgegrast und ihre Unterlagen mit Sparvorschlägen gefüllt hatten, sprachen sie bei der Konzernleitung vor. Dort wurden etliche Vorschläge mit Begeisterung aufgenommen. Der Zauberstab »Lean Costing 2015« sollte die Gesamtkosten des Konzerns im Zeitraum von zehn Jahren um eine zweistellige Prozentzahl nach unten hexen. Auf diese Weise wollte man der kostengünstigen Konkurrenz aus Fernost die Stirn bieten.
    Die Presse war von dieser Mitteilung begeistert. Der Aktienkurs machte einen Luftsprung. Bei der Öffentlichkeit blieb hängen: Der Konzern hat die Zeichen der Zeit erkannt und in den Spargang umgeschaltet. Bravo!
    Doch was dieser »Spargang« im Detail bedeutete, wusste keiner. Außer den Mitarbeitern. Jana Heimfeld erzählte mir: »Die jungen Berater haben gestrichen, ohne zu begreifen, was sie streichen. Denn es traf auch unsere Gäste.« Bis dahin hatte jeder Mitarbeiter entscheiden können, mit welchen Getränken und welchem Gebäck er einen Konferenzraum für seine Besucher ausstatten ließ. Wer zum Beispiel bei Hitze drei Gäste empfing, konnte für jeden Teilnehmer zwei Flaschen Mineralwasser anfordern. An einem kalten Wintermorgen wurden dagegen zwei große Kannen Kaffee geordert. So kamen die Mitarbeiter ihren Gastgeberpflichten nach und sorgten für gute Atmosphäre.
    Doch genau diese Gastfreundschaft ließ »Lean Costing 2015« über die Klinge springen. Das hausinterne Catering,
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