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Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus
Autoren: Martin Wehrle
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Mitarbeiter in den Irrsinn treiben? Dieses Irrenhaus-Alphabet vermittelt Ihnen einen Überblick, von welchen Unternehmen, welchen Macken, welchen Chefs in diesem Buch die Rede sein wird.
    A ngeberei: Der höchste Lobgesang auf ein Irrenhaus kommt immer aus demselben Mund: vom Irrenhaus selbst. In Stellenausschreibungen nennt es sich »expandierend«, auch wenn nur noch die Schulden wachsen. »Spannende Aufgaben« verspricht es, auch wenn den Bewerber so viel Routine erwartet, dass jedes Schlafmittel daneben wie Red Bull wirkt. Und die versprochene »Innova­tionsfreude« kann sich nur auf eines beziehen: frei erfundene Entlassungsgründe.
    B esserwisserei: Die erste Lerneinheit, die ein Irrenhaus-Neuling durchlaufen muss, ist eine Gehirnwäsche: Sein Kopf wird von Erfahrungen aus anderen Firmen gereinigt, ein Vollwaschgang, bei dem der Irrenhaus-Direktor schäumt. Auf andere Firmen will er nicht verwiesen werden; es darf nur eine geben! Die beiden Lieb lingsantworten: »Das machen wir schon immer so« oder »Das funk ­tioniert bei uns nicht«. Und wehe, der neue Insasse hakt nach: »Woher wissen Sie, dass es nicht funktioniert, ohne es je probiert zu haben?« Solche Fragen in der Probezeit wirken sich auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses aus wie eine Kreissäge auf die Länge einer leichtsinnigen Hand.
    C hefsache: Wie auf einigen Medikamenten der Warnhinweis steht, sie dürften nicht in die Hände von Kindern gelangen, so beschriften Irrenhäuser wichtige Aufgaben mit dem Warnhinweis »Chefsache«. Die größten Gehälter, die größten Einzelbüros und die größten Dummheiten bleiben den Chefs vorbehalten. In rührender Ahnungslosigkeit, wie Kinder mit einer Spielzeuglok hantieren, setzen sie Entscheidungen aufs Gleis (Chefsache eins). Und wenn dieser Zug dann aus der nächsten Kurve fliegt, brüllen sie ihre Mitarbeiter als Schuldige zusammen (Chefsache zwei). Das nächste halbe Jahr sind sie dann damit beschäftigt, ihre hausgemachte ­Idiotie als ausgemachte Strategie zu verkaufen (Chef­sache drei).
    D iplomatensprache: Sagt ein Irrenhaus, wenn es tausend Mitarbeiter rauswerfen will, dass es tausend Mitarbeiter rauswerfen will? Ach was, das heißt dann: »Rationalisierung unserer überalterten Mitarbeiterstruktur« (Börsenkurs steigt!). Sagt ein Irren haus, dass es keine Tariflöhne mehr bezahlen, sondern billige Zeitarbeits-Sklaven durch die Hintertür ins Unternehmen peitschen will? Ach was, das heißt dann: »Wir gründen eine haus­eigene Personal Service GmbH.« Mitarbeiter werden nicht »ent lassen«, sondern »freigesetzt«. Sogar die eigene Pleite kommt noch als »vo­r­übergehendes Liquiditätsproblem« daher. Klartext wird niemals geredet; denn die Wahrheit täte weh!
    E inheitsmeinung: Wie ein Trinker immer Durst hat, hat ein Chef immer recht. So besoffen seine Argumente auch klingen mögen! Je hochprozentiger die Dummheit seiner Aussagen, desto lieber schließt er sie mit dem Satz: »Dazu kann es keine zwei Meinungen geben!« Wer dennoch abweichende Meinungen vertritt, etwa zwei mal zwei ergebe in der Gewinnprognose vier (und nicht 40, wie vom Direktor behauptet), der macht sich in Tateinheit mehrerer Delikte schuldig: Majestätsbeleidigung, Befehlsverweigerung, Denkverbots-Überschreitung. Die Köpfe der Irrenhaus-Mitarbeiter sollen wie Rundfunkempfänger in einem totalitären Staat sein: Sie haben alle dasselbe zu empfangen. Wer eigene Gedanken ausstrahlt, schlimmstenfalls vernünftige, wird schnell als Feindsender stillgelegt – durch Entlassung.
    F laschenzug: Irrenhäuser verfügen über einen starken Selbsterhaltungstrieb. Wie der Vampir das Licht meidet, so meiden sie die Vernunft. Aber wie verhindert man, dass ein Vernünftiger in die Irrenhaus-Direktion aufsteigt? Mit dem Flaschenzug. Sobald ein Irrer befördert ist, zieht er andere Irre nach oben, bevorzugt noch größere Dummköpfe als sich selbst. Sie dienen ihm als Kontrastmittel und lassen seine relative Intelligenz aufscheinen wie die Nacht ein Streichholz.
    G roßraumbüro: Alles, was die Arbeit behindert, steht in Irrenhäusern hoch im Kurs. An erster Stelle: das Großraumbüro. Die Mitarbeiter werden wie eine Tierherde zusammengepfercht. Als Wachhunde dienen direktorentreue Insassen, die sofort anschlagen, wenn jemand rechtzeitig in den
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