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Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus
Autoren: Martin Wehrle
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Feierabend aufbrechen, ein privates Telefonat führen oder schlecht über die Irrenhaus-Direktion reden will. Ein Großraumbüro ist ein Treibhaus für Ideen, etwa wie man dem Sitznachbarn, der immer ins Telefon brüllt, seine Stimmbänder verknoten könnte. Niemand lenkt hier mehr die Arbeit – alle lenken sich von der Arbeit ab.
    H usten: Ein absichtsvolles Geräusch, das Mitarbeiter von sich geben, wenn sie am nächsten Tag eine Krankmeldung einreichen und sich einen schönen Tag machen wollen. Aus Direktoren-Sicht leiden Mitarbeiter ohnehin nur an einer Krankheit: dem Schwindelanfall, der einer (gelogenen) Krankmeldung vorangeht. Als Kranker anerkannt wird nur, wer mindestens an einer Be­atmungsmaschine hängt oder eine amtliche Sterbeurkunde vorlegen kann. Das Wort »Burnout« wird in Irrenhäusern übersetzt mit: »Feuer ihn raus, er will nicht arbeiten!«
    I nterna: Als Willkommensgruß schieben Irrenhäuser dem Neuling einen Knebel in den Mund. Ähnlich wie bei der Mafia wird er zu absolutem Schweigen über sein Gehalt und das Geschäfts­modell verpflichtet. Eine »Wettbewerbsklausel« soll ihn bis zur nächsten Eiszeit (die angesichts des Betriebsklimas nicht allzu fern ist!) an die Firma fesseln. Und alles, was er bei der Arbeit sieht, darf er nicht gesehen haben.
    Als Interna gelten vor allem: die wahren Geschäftszahlen (die immer zwei Etagen tiefer wohnen als die veröffentlichten), die Ausraster der Führungskräfte (weil sie für Amnesty International interessant wären) und die strategischen Überlegungen des Managements, die sich mit Abstand am leichtesten verschweigen lassen: Es gibt sie nicht!
    J a-Wort: Das Ja-Wort hat in Irrenhäusern eine doppelte Bedeutung. Zum einen will sogar die hässlichste Firma vom Bewerber wie eine hübsche Braut umworben sein. Er hat sich vor ihr im Vorstellungsgespräch auf die Knie zu werfen (»Warum sollen wir gerade Sie einstellen?«), ihr seine Liebe zu erklären (»Was reizt Sie an unserer Firma?«) und jeden Fußtritt, den man ihm per Stressfrage verpasst (»Welche schlechten Eigenschaften würde Ihnen Ihr letzter Chef nachsagen?«), mit einer unverdächtigen Antwort zu kontern.
    Ebenso bedeutend ist das Ja-Wort im Alltag, denn es gilt als einzige richtige Antwort auf Fragen des Managements. »Ist der Projekttermin einzuhalten?« – »Ja!« »Sind Sie mit meiner Entscheidung einverstanden?« – »Ja!« Doch Achtung: Sollte der Irrenhaus-Direktor einmal fragen, »Haben Sie eine bessere Idee als ich?«, lautet die einzige lebenserhaltende Antwort: »Nein!«
    K ommunikation: Wer reden nicht will, aber schweigen nicht kann, der »kommuniziert«. Am liebsten per E-Mail, damit genug Raum für Missverständnisse bleibt und möglichst viele Unbeteiligte per CC mit ins Unglück gerissen werden können. Das Wort »Mail« kommt von »Müll«, und Irrenhaus-Mails sind oft Giftmüll.
    L eiharbeiter: Stamm-Insassen reagieren oft unsportlich, zum Beispiel mit Kündigungsschutzklagen, wenn das Irrenhaus sie aus einer Laune heraus feuert. Dagegen ist der Leiharbeiter wie ein Hütchen beim Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel: fürs Rauswerfen bestimmt. Zwei Gelegenheiten bieten sich an, um ihn aus dem Spiel zu kegeln: wenn der Mohr seine Schuldigkeit getan hat. Oder wenn er – dieser faule Hund! – sie nicht getan hat (natürlich wurde er nie eingelernt …). Damit ihn dieses Schicksal nicht überrascht, versetzt man ihm schon vorher einmal pro Monat einen Schock – per Gehaltszettel!
    M eeting: Was tut ein ratloser Irrenhaus-Insasse, um ein Problem zu lösen? Er trommelt elf weitere Insassen zu einem Meeting zusammen. Damit hat er die Ratlosigkeit verzwölffacht, aber das Problem nicht gelöst. Wer aus dem Meeting geht, hat zwar keine Sorge weniger als zuvor, aber ein Dutzend Feinde mehr. Schätzungsweise die Hälfte aller Mordpläne werden in Meetings geschmiedet. Die andere Hälfte in den fünf Minuten danach.
    N ein: Die einzige Vokabel, die ein Irrenhaus-Direktor benötigt, um mit seinen Mitarbeitern zu reden. Sie ist die passende Antwort auf alle Wünsche des Mitarbeiters – ob er mehr Gehalt, eine ­Be­förderung oder einen neuen Bleistift will. Der unerfahrene ­Direk­tor wartet ab, was der Mitarbeiter zu sagen hat, und schleudert
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