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Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus
Autoren: Martin Wehrle
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67 Arbeitsstunden verschlungen. Derweil hat sich der irre Politikbetrieb nicht mit dem Klimawandel, der Bankenkrise oder Bildungsfragen beschäftigt; 67 Stunden wurden damit verbracht, eine Müll-Mail per DNA -Probe (»Denk-Nach-Abgeordneter!«) als Müll-Mail zu identifizieren.
    Aber der Bundestag wäre keine gute Irrenhaus-Vertretung, wenn er diesen Stundensatz nicht aus freien Stücken vervielfacht hätte. Statt diesen elektronischen Blindgänger einfach im virtuellen Papierkorb zu entschärfen, ließen die Politiker ihre Arbeit links liegen und schossen Antworten auf demselben Niveau zurück: Belanglosigkeiten. Und damit alle etwas von diesem Ablenkungsmanöver hatten, blieb das ganze hohe Haus im Verteiler.
    Zum Beispiel unternahm ein Mitarbeiter des SPD -Abgeordneten Sönke Rix den kühnen Versuch, die Politikprofis in einer bislang unbekannten Kunst zu unterrichten: nämlich wie man eine Mail unfallfrei versendet. Meinungen provozierten Gegenmeinungen. Mit der Schnelligkeit eines Schusswechsels rauschten die Mails von Postfach zu Postfach, stets in viertausendfacher Ausfertigung.
    Der Server des Bundestages, ein alter Haudegen, war einigen Mailverkehr gewohnt: über Auslandseinsätze der Bundeswehr, über drohende Staatspleiten, über explodierte Atomkraftwerke. Alle diese Krisen hatte er verkraftet. Doch Babette, die Frau mit dem Irrenhaus-Verteiler, zwang ihn in die Knie. Der virtuelle Stoßverkehr hatte zur Folge, dass die Mails nur noch wie aus einem verstopften Rohr tröpfelten, merklich verspätet. Wäre zu dieser Zeit ein Vulkan in der Eifel ausgebrochen, die Nachricht hätte den Bundestag später erreicht als die Rauchwolke den Himmel über Berlin.
    Aber der Irrsinn ging noch weiter! Nachdem die Schaltzentrale der Republik lahmgelegt war, wollte der Bundestag sein Abenteuer mit dem Volk teilen: Die Abgeordneten twitterten wie ein ganzes Vogelhaus, und so eilte Babettes Missgeschick ins Land hinaus. Die Nation war in hellem Aufruhr, das ZDF brachte einen Exklusivbericht, und bei Facebook entstand (vorübergehend) die Seite: »Babette war’s«.
    Wahrscheinlich wäre der Server des Parlaments vollends ins Jenseits geschickt worden, hätte sich die Informatik-Abteilung nicht zu einem Ordnungsruf entschlossen: »Aus gegebenem Anlass wird daran erinnert, dass E-Mail-Verteiler ausschließlich für dienstliche Zwecke zu verwenden sind.«
    Bis zu diesem Zeitpunkt waren nach Aussage eines Bundestagssprechers rund 120 Mails bei jedem Abgeordneten eingegangen – womit sich die verschwendete Arbeitszeit auf 480 000 Minuten, auf 8000 Arbeitsstunden, auf 1000 Arbeitstage addiert.
    Genauso geht es in den Firmen-Irrenhäusern zu: Jeden Tag werden virtuelle Bomben gezündet, die einen tiefen Krater reißen, wo vorher noch ein Rest von Arbeitsfähigkeit war (siehe nächstes Kapitel).
    Falls Sie das Schicksal von Babette in Ihrer Firma weitersagen wollen: bitte nicht per Mail!
    Â§ 3 Irrenhaus-Ordnung: Der Irrsinn selbst hat zum Parlament keinen Zutritt: Er schickt seine besten Abgeordneten!
    Von Mails und anderen Dummheiten
    Das wichtigste Führungsinstrument derer, die nicht führen können, ist die E-Mail; sie dient dem lückenlosen Alibi. Wenn der Insasse später behauptet, er habe noch nichts von einer Entscheidung gehört, sagt sein Direktor triumphierend: »Dann schauen Sie mal in Ihr Mailfach! Am 23. September ist Ihnen das 76-seitige Strategiepapier um 14.23 Uhr zugegangen.«
    Vielleicht war der Mitarbeiter klug genug, die Mail zu löschen, als er sah, dass sie von einem unseriösen Absender kam, sprich seinem Management. In Irrenhäusern darf ein Ausrufezeichen als Löschsignal gewertet werden, weil es auf erhöhte Belanglosigkeit hinweist.
    Meine Erfahrung ist: Je öfter sich die Menschen in einem Unternehmen mailen, desto weniger verstehen sie sich. Und je größer die Mailverteiler sind, desto kleiner ist die Vernunft einer Firma. Jede Woche höre ich Katastrophenberichte. Sie beginnen mit einer Mail und enden mit einem Knall. Hier ein paar Beispiele:
    Eine Klientin von mir, leitende Angestellte, wollte ihre Jahresziele mit ihrem Vorgesetzten besprechen. Doch dieser, oft auf anderen Kontinenten unterwegs, hatte den Gesprächstermin mehrfach verschoben. Schließlich schlug er vor, die Ziele »zeitnah per Mail zu vereinbaren«. Die Mitarbeiterin stimmte
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