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Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall

Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall

Titel: Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall
Autoren: Felicitas Mayall
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würden nur sagen, dass er gefälligst samt Anhänger verschwinden solle. Er kannte das. Für die auf der Straße galten andere Regeln.
    Radfahrer rasten an ihm vorüber. Einige drehten sich kurz um und gafften. Jetzt würden die Schwierigkeiten überhaupt erst anfangen. Bestimmt beschwerte sich jemand über die Schmiererei, und dann würden die von der Stadt kommen. Und die würden sagen, dass es verboten sei, unterm Friedensengel zu kampieren. Und dass er die Steine nicht verkaufen dürfe, weil er keinen Gewerbeschein hätte.
    Ralf lachte traurig vor sich hin. Gewerbeschein! War ja alles verboten, wenn man keinen Schein hatte. Man konnte sich gleich aufhängen. Dabei machten ihn seine Steine richtig unabhängig. Er ging ja nicht mal mehr zum Sozialamt, weil er von seinen Steinen leben konnte. Die sollten doch froh sein. Aber denen passte sowieso nichts. Einsperren wollten sie ihn – in ein Zimmer, in irgendeine stinkende Bude mit anderen Pennern. Mit Kerlen, von denen jeder eine Macke hatte. Ralf kannte all die tausend Macken, einschließlich der eigenen. In geschlossenen Räumen bekam er Platzangst. So massiv, dass er einmal beinah aus dem Fenster gesprungen wäre. Deshalb passte der Tunnel ganz gut. Der war hinten und vorne offen. Außerdem gab es noch eine breite Treppe nach oben und nachts Beleuchtung.
    Allerdings zog es bei schlechtem Wetter. Ziemlich sogar. Aber es regnete nicht herein, war absolut trocken. Im Winter könnte es ungemütlich werden. Egal. Noch nie hatte Ralf im August an den Winter gedacht. Damit würde er frühestens im Oktober anfangen.
    Jetzt war der Tunnel der beste Platz, den er kannte. Er schützte vor der Sonne und blieb halbwegs kühl. Ralf tastete nach dem Schlüssel, den er stets an einer Schnur um den Hals trug. War wohl besser, den Laden aufzumachen und zu frühstücken. Vom Anstarren ging die Farbe auch nicht weg.
     
    Und jetzt?, dachte Laura, als sie wieder auf der Straße stand. Die Hitze traf sie wie ein Schlag, und das Sonnenlicht war so grell, dass sie trotz dunkler Brille unwillkürlich die Augen zusammenkniff. Wahrscheinlich war es am klügsten, sofort bei Anna Neugebauer zu klingeln. Schließlich wohnte die alte Frau nur ein paar Häuser weiter. Hoffentlich war auch die junge Nachbarin namens Marion zu Hause, die Laura damals unterstützt hatte. Anna Neugebauer war nämlich sehr misstrauisch. Bei der ersten, ziemlich fruchtlosen Kontaktaufnahme vor zwei Monaten hatte sie einfach Lauras Dienstausweis behalten und behauptet, dass jeder so was fälschen könnte.
    Inzwischen war es kurz vor zwölf, und die Straßen lagen so ausgestorben da wie zur Siestazeit in südlichen Ländern. Mexiko, dachte Laura. Nicht mal ein Hund war zu sehen. Die Häuser wirkten wie Festungen gegen die Hitze. Alle Rollos waren herabgelassen, alle Vorhänge zugezogen. So sahen italienische oder spanische Städte im August aus, aber das hier war München.
    Schlaff hingen die Büsche in den Vorgärten herunter, viele Pflanzen waren verdorrt. Die Stadt begann zu stinken – nicht nach Autoabgasen, sondern nach verdorbenem Müll, nach modernder Kanalisation. Neununddreißig Grad waren für heute angesagt. Es fühlte sich jetzt schon an wie mindestens fünfundvierzig.
    Laura klingelte. Irgendwo im Haus fing ein Hund an zu bellen. Ganz hoch und scharf. Sonst rührte sich nichts. Schweiß lief über Lauras Rücken, ganze Bäche von Schweiß. Sie stand in der Sonne und begann, systematisch eine Klingel nach der anderen zu testen. Der Hund bellte wie verrückt.
    «Ja?», sagte plötzlich eine Männerstimme aus der Sprechanlage.
    «Würden Sie mir bitte aufmachen, ich muss zur Frau Neugebauer.»
    «Wieso?»
    Ich kann doch nicht Kripo sagen, dachte Laura. Sonst zerreißen sich alle Nachbarn das Maul über die alte Frau.
    «Sozialdienst», antwortete sie laut.
    «Ist das ’n neuer Trick?»
    «Ein alter!»
    «Haha. Ich mach auf. Aber ich komm runter und schau mir Ihren Ausweis an.»
    Der Öffner summte, Laura drückte gegen die Tür, betrat das Treppenhaus und horchte. Jemand kam aus einem der oberen Stockwerke heruntergestürmt. Anna Neugebauer wohnte im ersten Stock. Als Laura die letzten Stufen nahm, wurde sie bereits erwartet. Ein junger Mann, vielleicht Anfang zwanzig, lehnte mit verschränkten Armen am Treppengeländer. Er trug ein lila Unterhemd, weiße Bermudas und war barfuß. Sein schwarzes Haar kringelte sich in feuchten Locken um seinen Kopf. Er hatte ein lustiges rundes Gesicht mit etwas zu kurzer
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