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Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall

Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall

Titel: Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall
Autoren: Felicitas Mayall
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überlebt», sagte Laura leise. Sie staunte über die Heftigkeit, mit der er sie anfuhr.
    «Niemals! Niemals! Wenn sie überlebt hätte, dann wäre sie zu uns gekommen. Irgendwann später. Sie hätte nach uns gesucht, ganz bestimmt. Wir haben ja auch nach ihr gesucht!» Seine Hände zitterten so sehr, dass er den Schnaps verschüttete und das Glas abstellen musste.
    «Das Schlimmste im Leben ist, wenn man ohnmächtig zuschauen muss, Frau Kommissarin. Wenn man Böses nicht verhindern kann, das ist das Schlimmste! Aber das kennen Sie wahrscheinlich, bei Ihrem Beruf. Nur, damals war es noch ganz anders – und das kennen Sie nicht. Das kann sich niemand vorstellen, der es nicht erlebt hat. Damals hat einer wie der Dobler genügt, dass alle, die nicht stramme Nazis waren, um ihr Leben fürchten mussten.»
    Vielleicht sollten wir den Fall wirklich abschließen, dachte Laura. Selbstmord und Akte zu, wie Baumann es vorgeschlagen hatte. Aber Mord blieb eben Mord, und etwas an der Geschichte der Marons behagte Laura nicht. Oder lag es an Karl-Otto Mayer? Sie konnte es nicht genau benennen.
    «Warum haben Sie eigentlich bei unserem ersten Treffen im Juni die Marons mit keinem Wort erwähnt?», fragte sie.
    «Damals ging’s doch nur um den Dobler und was der für einer war.» Seine Stimme klang schwach.
    «Und jetzt?»
    «Ich … ich wollt Ihnen das einfach sagen, eh ich endgültig umfall. Damit Sie sich ein klares Bild machen können. Das ist alles.» Er sah sie nicht an, faltete wieder an seinen Hosenbeinen herum.
    «Ich wüsste aber gern ein bisschen mehr, Herr Mayer. Können Sie sich vorstellen, dass jemand sich an Dobler gerächt hat? Ich hab das schon einmal gefragt, und Sie sind mir damals ausgewichen. Aber ich erinnere mich genau, dass Sie sagten: Da hat jemand lang nach ihm gesucht.»
    Ganz starr saß er da, mit geschlossenen Augen. Endlich sagte er: «Hab ich das gesagt? Kann mich nicht genau erinnern. Aber es könnt ja sein, oder? So was kann immer wieder passieren, bis unsere Generation unter der Erde ist. Es werden doch immer noch uralte Männer vor Gericht gestellt, weil man sie erst jetzt gefunden hat. Das wissen Sie so gut wie ich, Frau Kommissarin.»
    «Natürlich weiß ich das. Mein eigener Vater hat ein paar von denen gestellt. Herr Mayer, ich brauche wirklich Ihre Hilfe. Können Sie sich vorstellen, wer so lange gesucht hat? Wer all die Jahre diesen Hass auf den Dobler mit sich herumgetragen hat?»
    Der alte Mann schüttelte den Kopf.
    «Ich bin kein Denunziant, Frau Kommissarin. Vielleicht war’s ja einer von den alten Nazis. Die konnten gut hassen. Fragen S’ doch die Frau Neugebauer. Deren Mann war ein Nazi, und der hatte viele braune Freunde. Die haben nie rausgefunden, dass die Frau Neugebauer eine Jüdin versteckt hat. Nicht einmal ihr eigener Mann! Es kommt nur auf die Intelligenz an, Frau Kommissarin, nur darauf und auf den Mut!» Das Zittern seiner Hände hatte nachgelassen, und er trank sein Schnapsglas in einem Zug leer.
    «Haben Sie noch Kontakt zur Frau Neugebauer?»
    «Wenig. Das ist alles so lang her. Und ihren Mann hab ich nie leiden können. Da ist keine Freundschaft draus geworden, wenn Sie das meinen. Ich muss mich jetzt hinlegen, Frau Kommissarin. Bin ja immer noch ein bisserl in Reha. Die Hitze ist nicht gut für Leute wie mich. Sie müssen sich beeilen, wenn Sie noch ein paar von unserer Generation befragen wollen.» Ein verschmitzter Zug tanzte plötzlich um seine Mundwinkel.

ALS RALF, DER STEINMETZ, an diesem Vormittag zu seinem Anhänger unter dem Friedensengel zurückkehrte, fand er den silberglänzenden Kasten mit roter und schwarzer Farbe besprüht. Eine Botschaft schienen die Wellenlinien und Kreise, die auch die Tunnelwände überzogen, nicht zu enthalten. Wahrscheinlich waren nur ein paar betrunkene Sprayer hier durchgekommen – trotzdem fühlte Ralf sich auf einmal unsicher, schaute genau nach, ob sich nicht irgendwo eine Drohung unter die planlosen Ornamente verirrt hatte. Aber er fand keine.
    In einiger Entfernung von seinem Anhänger setzte er sich auf den Boden und lehnte den Rücken an die Tunnelwand. Der Anblick seines besudelten Heims machte ihn wütend und, vor allem, traurig. Es passierte ihm oft, dass seine Wut in sich zusammenfiel und er traurig wurde. Was sollte er auch mit seiner Wut anfangen? Er konnte ja doch nichts tun. Die andern waren stärker, waren immer schon stärker gewesen. Irgendwie hätte er gern die Polizei gerufen, aber das ging ja nicht. Die
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