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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage
Autoren: Walter Kempowski
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enttäuschen. Er hielt ihr den Stein hin, mit beiden Händen, und sie tat zwei, drei gewaltige Schlecker mit ihrer großen groben Zunge und guckte ihn, von Fliegen umschwärmt, treu und ergeben an.

    Nun kamen auch die Hunde aus dem Innern des Hauses gesprungen und verbellten das Tier. Das hatte Sowtschick nicht so gern. Er stellte sich vor, daß der Bauer, hinter einem Baum versteckt, das bemerken und wegen eines eventuellen Milchsturzes im Euter seiner Kuh beanstanden würde. Auch meinte er, es müsse dem Tier doch lästig sein, so angegeifert zu werden. Bianca aber guckte ihren Gönner unverwandt an, sie beachtete die Hunde nicht.

    Weil sie nicht abließen von seiner Freundin, setzte Sowtschick, von der Kuh jenseits des Zauns mit schwingendem Euter begleitet, zu einem Gartenspaziergang an. Zufällig vorüberkommende Passanten hätten in diesem Augenblick Glück gehabt, sie wären «des weißgekleideten Schriftstellers ansichtig geworden», wie sie dann in ihr Tagebuch geschrieben hätten.

    Zuerst ging Sowtschick die Birkenallee entlang. Diese Allee war vom Architekten beim Hausbau gleich mitkonzipiert worden. Sie führte zunächst durch den gepflegteren Teil des Anwesens, in dem Büsche und Bäume nach ihrer Laubfarbe und Statur um einen großen Rasen herum zu Gruppen komponiert waren, dann durch das, was Sowtschick seinen Urwald nannte, ein wild bewachsenes, ziemlich großes Stück Land, das nicht aus Liebe zur Natur so wüst belassen wurde, sondern weil niemand Lust hatte, sich darum zu kümmern. Für die Kinder war das ein Paradies gewesen, Schitti und Klößchen hatten sich hier eine Laubhütte gebaut, in der sie tagelang lebten und sogar nachts schliefen.

    An ihrem Ende war die Allee von einem weißen Gartentor begrenzt, das ebenfalls mit großen Kugeln verziert war. Von hier aus gelangte man in den Wald, der nach Norden hin in Moor und Heideflächen überging.

    Sowtschick verließ selten sein Grundstück. In seinem Garten hatte er sich einen Rundweg anlegen lassen, auf dem er manchmal wie Don Perlimplin dahintrottete, immer rundherum, durch seinen Urwald zunächst, dann durch die gepflegteren Teile, am Haus vorbei und wieder zurück, vorüber an Grabsteinen, die er sich von aufgelassenen Gräbern besorgt hatte – ein aufgeschlagenes Buch aus Marmor, über das eine Eidechse dahinhuschte, abgebrochene Säulen und ein Engel mit einem Palmzweig im Arm. Wilde Rosen, Holunderbeeren, gelber Rainfarn und prachtvolle Lupinen.

    Der Rundweg war geschottert, doch hartnäckige Pflanzen brachen immer wieder daraus hervor, was Sowtschick zwang, seinen Hacken auf ihnen umzudrehen, er ging von Löwenzahn zu Löwenzahn, von Distel zu Distel, und immer drehte er seinen Hacken um, was von fern sehr seltsam aussah. Übrigens war es vergebens, das Zeug war nicht kleinzukriegen. Irgendwann würde man hier eben doch mit Gift kommen müssen.

    Der Weg wurde ihm an diesem Tag sauer: Wenn die Hitze wenigstens bräunen würde, dachte er. Er ärgerte sich über das Unkraut auf dem Weg, über Maulwurfshaufen und Unterwühlungen, und leider lagen in Zaunnähe wieder einmal Bierdosen. Er schleuderte sie auf die Straße, wo sie von vorüberfahrenden Treckern plattgewalzt werden würden. Diese Bierdosen waren Aggressionsakte der Dorfbevölkerung, die ihm seinen Besitz neidete. Manchmal zeugte zerdrücktes Unterholz davon, daß sich sogar ein Liebespärchen auf seinem Grund und Boden verlustiert hatte: Immer war Sowtschick hinter so was her, doch nie konnte er einschreiten.

    Auf seinem Rundgang kam er auch an den beiden Schafen Sonja und Amalie vorüber, die auf der durch Büsche gegen Einsicht geschützten Liegewiese als lebende Rasenmäher ihre Arbeit taten. Er winkte den aufmerkenden Tieren zu und ging weiter, von den Schafen mit Blicken verfolgt. Er drehte eine zweite und eine dritte Runde, mal so rum und mal so, den Spaziergang durch Abzweigungen variierend, und beruhigte sich allmählich.

    An einer bestimmten Stelle schlug er sein Wasser ab. Mit Wohlbehagen stellte er sich vor, wie gut das dem Erdreich täte, daß es hier Ammoniak und Harnsäure warm und freundlich erhält.

    Schließlich setzte er sich auf eine Bank am äußersten Ende des Gartens, auf einer Anhöhe gelegen, und sah auf das in der Hitze wabernde Dorf hinunter. Das Kirchlein in der Mitte, mit seinem stumpfen Turm, und die Bauernhäuser breit darum herum. Aus der Ferne holten riesige Hochspannungsmasten in schwer hängenden Kabeln Strom herbei, um ihn weiß Gott
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