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Hundestaffel

Hundestaffel

Titel: Hundestaffel
Autoren: Stefan Abermann
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denen man nur Recht bekommt. Ich weiß, dass Witz sich gern mit Spott und Hochmut paart. Und ich kenne den Unterschied zwischen einem Kavalier und Don Juan.
    Dabei frage ich mich, ob Hannes immer schon so war, wie ich ihn in dieser Woche kennen lernte. Oder ob es eine frühere Version dieses Hannes’ gegeben hatte, die irgendwann heimlich ersetzt worden war. Vielleicht blieb er nur für uns immer derselbe, entwickelte sich aber unter der Oberfläche weit, weit von uns weg.
    Wenn ich Hannes heute beschreiben muss, verliert er sich in diesen Unsicherheiten. Nur eines kann ich mit Sicherheit sagen: Er war unser König. Der Anführer. Und das ist nicht übertrieben. Eher im Gegenteil. Rückblickend war er vielleicht sogar noch mehr. Ich bin mir sicher, dass ich für Hannes alles getan hätte. Alle Welt lief ihm nach. Wir alle hätten alles getan. Zumindest das kann ich sagen.
    Alles andere ist ziemlich unsicher.

Montag
    Was ist die erste Erinnerung aus dieser Woche?
    Sie könnte aus jeder anderen Woche stammen. Es könnte ein wahlloser anderer Montag sein. Doch wenn ich das Gesamtbild betrachte, passte dieser Tag zu allem, was noch kommen würde. Er passte zu dem Theaterstück, das wir aufführen würden. Also Vorhang auf für den Einzug des Chors:
    Ich stand in einem Winkel des alten Stadttors und trat auf der Stelle. Seit ich Hannes angerufen hatte, war nun schon mehr als eine Stunde vergangen. Die Sonne war den Rand des Torbogens entlanggewandert, schleppte sich Richtung Abend. Es zog sich.
    Im Torbogen standen zwei Zeugen Jehovas, der „Wachtturm“ schimmerte unter der Sonne, Jesus ritt auf seinem Esel über das Cover. Die beiden Missionare strahlten überzeugt in die Welt, ihre unerschütterlichen Gesichter schienen die Botschaft zu wiederholen:
Fürchte dich nicht, siehe, dein König kommt, reitend auf einem Eselsfüllen
.
    Und ich wartete, halleluja!, wie auf die Erlösung. Die Zeit zog Fäden.
    Am Himmel zogen Wolken auf. Mit der Karwoche kam das schlechte Wetter. So war es immer. So war es mir immer vorgekommen.
    Ich wurde immer ungeduldiger. Hannes konnte mich mal. Ich wollte los. Alle würden schon dort sein. Im Palace, mitten im Geschehen. Nur ich, ich wartete immer noch hier. Auf die Ankunft des heiligen Hannes. Es war lächerlich. Ich starrte durch das alte Stadttor, als wollte ich es durch meinen Blick einreißen, Passanten strömten vorbei, ihre Schritte begleitet von einem dumpfen Murmeln, ohne Flow, ohne Beat. Die Sonne leuchtete ihnen den Rücken ab. Ihre Körper lösten sich auf im Licht. Wie gesichtslose Flecken trieben sie einfach nur an mir vorbei und die Straße hinunter.
    Minute um Minute verging. Zum hundertsten Mal hielt ich die Hand gegen das Licht, kniff die Augen zusammen und starrte in die Ferne. Und plötzlich erkannte ich tatsächlich eine Silhouette, die Hannes ähnelte. Überraschenderweise saß er auf einem Fahrrad. Ich hatte sein Auto erwartet, nicht irgendeinen Drahtesel. Ich trat aus meinem Winkel hervor, Hannes’ Kopf schob sich wie eine Sonnenfinsternis zwischen mich und den letzten Rest des Tageslichts, eine Korona flammte auf um seinen Kopf. Eine Krone aus Licht für den König der Stadt. Doch anders als sonst machte dieser König keinen souveränen Eindruck. Ungelenk hielt er sich im Sattel, die Lenkstange diktierte seinen Armen widerspenstig den Weg, der Sattel saß zu tief, und das Vorderrad schlingerte. Die Sonne ging unter. Hinter Hannes tauchten Leo und Anna auf, sie folgten dem klappernden Rad wie Leibwächter, im Laufschritt. Die Köpfe hielten sie leicht gesenkt, als gäbe es irgendeine Strafe, die sie stillschweigend zu akzeptieren hätten.
    Etwas langsamer und erhobenen Kopfes folgte ihnen Bélisa, offensichtlich genervt von der Hetzerei. Sie machte einen erleichterten Eindruck, als Hannes endlich vor mir stehen blieb. Ich presste ein vorwurfsvolles „Hurra“ über die Lippen. Schön, dass sie auch schon hier seien. Hannes gab sich unbeeindruckt. Ich hätte ja vorgehen können, meinte er, und dass er nicht beabsichtige, nun auch hier mit mir noch Scherereien zu bekommen, er habe gerade schon genug mit seinem Auto gehabt. Musste das verdammte Ding gerade auf dem Weg in die Stadt den Geist aufgeben! Obwohl ich mir die Antwort vorstellen konnte, fragte ich Hannes, woher denn das Rad komme. Irgendwo lag neben einem Baum ein geknacktes Nummernschloss. Er habe sich ja nicht darauf eingestellt, in die Stadt zu gehen, sondern zu fahren. Was aber nichts daran ändere,
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