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Hundestaffel

Hundestaffel

Titel: Hundestaffel
Autoren: Stefan Abermann
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dass es kompletter Mist sei, sagte Hannes. Dabei packte er das Rad bei der Querstange und schleuderte es genervt von sich. Mit lautem Scheppern flog es gegen eine Ecke des Stadttors, der Vorderreifen verkeilte sich, das Rad sank wie ein erschossenes Tier an der Mauer hinab. Hannes fluchte und trat so fest gegen das Hinterrad, dass es sich verbog. Leo sprang auf das Rad zu, schrie, dass Hannes doch aufpassen solle. Im Gepäcksträger hing eingeklemmt noch seine Jacke. Nun steckte ein Ärmel in der Kette. Leo sah verzweifelt auf die öligen Spuren. Hannes seufzte und verdrehte die Augen. Bélisa erreichte uns nun auch, sie keifte Hannes an, er solle sich abreagieren. Dann wandte sie sich mir zu, begrüßte mich mit Küssen auf die Wangen. Ich beugte mich vor und atmete Blumenduft: Bélisas Parfum. Über ihre Schultern hinweg sah ich Hannes. Seine Augen rollten Bélisas Rücken hinunter. Ihr Oberteil war leicht hinaufgerutscht und hatte die Hüften freigelegt. Hannes’ Blick griff die Haut prüfend ab. Der Blick flackerte. Er sog Luft ein durch einen schmierig grinsenden Mund.
    (Es kann sein, dass ich diesen Ausdruck in seinem Gesicht ergänzt habe. Vielleicht sah er gar nicht hin. Vielleicht erfinde ich nur Details; Kleinigkeiten, die ich im Nachhinein sehen will. Erinnern heißt schließlich meist auch retuschieren. Bemerken Sie, wie ich jetzt schon versuche, Hannes eine hässliche Fratze zu verpassen?)
    Bélisa warf den Kopf auf die Seite, Hannes sah weg, als wäre nichts gewesen. Er machte einen Schritt auf das Rad zu. Bélisa sah in die Runde. Konnten wir jetzt gehen? Womöglich sogar in Ruhe? Hannes sagte, es sei genau das, was er eigentlich schon seit Stunden tun wolle. Er richtete das demolierte Rad auf, setzte sich stur wieder in den Sattel und fuhr los. Bélisa fragte seufzend, ob wir jetzt schon wieder laufen müssten. Doch ihre Worte verloren sich. Leo verfiel bereits in einen gehorsamen Trab, Annas Augen folgten, ich setzte mich in Bewegung; Hannes schlingerte die Straße hinab. Von den Häuserfassaden hallte der Lärm der Passanten wider wie ein verzerrter Jubel. Hannes pflügte durch die Menge. Und alle Welt lief ihm nach. Als sei das logisch und natürlich.

    Wir liefen, vorbei an Sonderangeboten, vorbei an eins, vorbei an zwei, vorbei an drei, vorbei an WERBEEINSCHALTUNG! Vorbei an einer alten Frau mit kleinem Hund, an einem alten Mann mit großem Hund, vorbei an junger Frau mit Kind. Wir liefen, Hannes nach, wie die Hunde dem Herrn und das Kind seiner Mutter. Hinter mir der Schrei des Mannes: „Lauf schneller, Sauhund!“ Wir liefen. Vorbei an Geschäften, vorbei an lauter laut schreienden Plakataufschriften. Vorbei, vorbei an Ständen, Geschäften, Abzweigungen, Schildern, Gottesdienste Freitag und Samstag 10 Uhr und 17 Uhr, vorbei an einem Drive-in, 24/7, everyone is welcome (ja, sogar du!). Dein Lächeln ist unser Vergnügen! Vorbei an „Sag ja zum Leben“ und an „Testen Sie jetzt!“. Wir liefen, das Plakat hingegen fragte: „Wünschen Sie sich auch manchmal ein bisschen Zeit?“ Zeit für Genuss, Zeit für einen Hauch von Ewigkeit, wir liefen, wir sind Ihnen nah, Ihre ewig guten Hirten, rechts nach 50 Metern, dort waren Sie noch nie, dort bringen wir dich hin, Auf zu neuen Ufern!, Don’t be afraid, baby; Come in! Trip out!, 50 Meter nur noch, die wir nie überwinden würden, 50 Meter bis zu einer Ewigkeit, mit der uns nichts mehr verband. Nur noch der Weg dorthin.
    Und wir liefen. Denn das konnten wir am besten.
    Rent this space before your competitor does, enter your name here, wählen Sie Ihr Passwort, zahlen Sie den Eintritt, willkommen im Klub, we are the church of rave, the ministry of sound, willkommen auf der Party deines Lebens, wir erkennen gute Musik, wenn wir sie spielen, wir wissen, was gut für dich ist. Wir haben alles für dich. Mehr können wir dir nicht versprechen. Wir gehen mit dir nie schlafen. Wir stehen immer nur mit dir auf. Wir warten die ganze Nacht nur auf dich. Willkommen im Klub. Willkommen auf der größten Party deiner Geschichte. Du erkennst gute Musik, und das hören wir.
    Wir liefen den gesamten Weg hinter Hannes her, hinein ins Palace. Endlich war er hier, der Flow, der Beat, der Groove, die Erleichterung: Wieder ein Abend auf bekanntem Terrain. Wir waren Musik, die lief, wir waren ein DJ-Set, das nie abbrach, unser Leben ein Beat, eine Mischung aus Spuren, zwischen denen sich Lidschläge umlegten wie Crossfader. Ein Gewebe aus Teilchen, die sich
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