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Hundestaffel

Hundestaffel

Titel: Hundestaffel
Autoren: Stefan Abermann
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Abgesehen davon hätte er das Gefühl wahrscheinlich nicht einmal verstanden. Hannes kannte keine Unsicherheiten. Weder während des Tages noch an jenem Abend. Er genoss sichtbar die Offenheit, die Leere des Raums. Er ließ gönnerhaft seinen Blick durch die Bar schweifen. Das Palace war sein Revier, hier war er der König der Nacht. Er lehnte entspannt in seinem Fauteuil, seine Lederjacke verschmolz mit dem Sessel, und er verschmolz mit dem Raum. Er war mit allem eins.
You’re on top of the world, denn die Welt dreht sich unter dir
, rappte eine Stimme im Kopf. Und wer es immer noch nicht glaubte, der konnte auf seinem T-Shirt nachlesen, was Sache war: In fetten Lettern prangte da „Appollo Inc.“, als hätte nur noch die Beschriftung gefehlt, um ihn endgültig zu einem jungen Gott zu machen.
    Als Hannes sich zu mir drehte, riss es mich zurück ins Tagesgeschäft. Er sagte irgendetwas über die Stimmung und lachte. Nicht einschlafen, Kameraden – das war die Losung. Und wie immer wirkten seine Worte Wunder. Irgendwie fokussierte die Kamera im Kopf wieder. Irgendwie ging etwas von seiner Souveränität auch auf mich über. Ich beruhigte mich. Der Abend würde sich schon gut entwickeln. Zum Teufel, entwickelte sich nicht jeder Abend gut? Was war eigentlich mein Problem? (Ja, wo lag eigentlich dein Problem, Schlappschwanz!?)
    Wenn ich heute beschreiben müsste, was an Hannes am faszinierendsten war, wäre dies meine Antwort: Die Fähigkeit, aus einem ziellosen Haufen eine Gruppe zu formen, diese Fähigkeit, rund um sich einen Kreis von Auserwählten zu schaffen und ihnen, nur ihnen, das Gefühl von Sicherheit einzuimpfen. (Da war dann Schluss mit dem aufgescheuchten Gegacker! Da sprach man dann mit einer Stimme!) Man trat in seine Aura ein wie in einen Schutzraum. Er, Leo und ich, an diesem Tisch, an diesem Abend. Wir waren doch da, Mann! Wir bildeten doch eine Runde, ein Bollwerk, gewappnet gegen den Angriff der Barbaren!
    Wir bestellten Wodka, tranken, bestellten erneut. Mit jedem Glas strömten mehr Menschen ins Palace; mit jedem Schluck trank ich dafür ein bisschen Unsicherheit weg. Der Pegel im Raum fiel, der Pegel in mir stieg.
    Am schnellsten wurde Leo betrunken. Sein Gesicht schien vom Rausch leicht anzuschwellen. Hannes war in bester Laune, wir drifteten zur Tanzfläche. Es herrschte dichtes Gedränge, Hannes pflügte durch die Tanzenden, die Masse wich zurück wie Grashalme vor einem Windstoß. Das war
Voodoo, People
! Die Musik wurde lauter, die Menge zog im Takt mit. Rädchen setzten sich in Bewegung, der Puls stieg, die Reserven wurden herausgekratzt aus den angerosteten Herzkammern. (Man sah fast schon ein Flimmern in der Luft!) Mir lief der Schweiß in Rinnsalen den Rücken hinunter, ich sah hinüber zu Hannes, sein Gesicht leuchtete im Scheinwerferlicht, hüpfte im Takt herum wie ein Lichtteilchen, das Lachen in seinem Gesicht war unauslöschlich. Er dominierte die Tanzfläche. Um ihn kreisten die Tanzenden. Die Körper züngelten an ihm hoch. Er streckte seine Arme im Tanz zur Seite, als wärmte er sie an den Moves der Menge.
    Und dann sah er die Frau. Einzigartig stach sie aus der Menge heraus. Struppige Stirnfransen rahmten frech ihr Gesicht ein. Große braune Augen wanderten in gespielter Langeweile zur Decke, während sie ihren Mund schnippisch zuspitzte. Dieser Blick sah immer an dir vorbei und sah dich trotzdem ständig an – desinteressiert und schamlos zugleich.
    Doch es war weniger ihr Aussehen, das sie hervorhob, es war vielmehr die Art, wie Hannes sie ansah. Ich sah die Veränderung in seinen Augen, noch bevor ich überhaupt die Frau wahrnahm. Sein Blick fuhr zischend in sie hinein wie der Teufel ins Weihwasser. Brandmarkte sie. Etwas machte da klick. Die Zielerfassung rastete ein. Alle Rohre geflutet. Der Jäger erwachte. Ein breites Lächeln brach wie ein Riss in seine Züge ein. Dann griff er an.
    Über der Szene eine blinkende Neonschrift: „Will haben, werde kriegen.“ Hannes bewegte sich tanzend auf die Frau zu, glitt hinter sie, schmiegte sich an sie wie eine Hand, die flüssig über eine perfekte Form streicht. Das dauerte nur wenige Sekunden. Und auch ich brauchte nur einige Sekunden, um zu verstehen, dass es gleich Probleme geben würde. Ein Blitz im Dunkel, dann der Donner: Ich sah den Mann kommen und setzte mich reflexartig in Bewegung, als hätte ich nur auf das Kommando gewartet.
    Der Mann stieß Hannes wütend zur Seite. Leo und ich drängten uns durch die Menge, die
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