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Hundestaffel

Hundestaffel

Titel: Hundestaffel
Autoren: Stefan Abermann
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abgehackt schnaufte, hechelte. In meinen Armen hing ein Mann, kraftlos gegen mich gelehnt. Ich sah an mir herab, registrierte den fremden Körper. Ich sah ihn verständnislos an. Es war wie Aufwachen. Als wäre ich – bumm! – gerade eben in die Szene gerauscht. Mein eigener Crash-Test.
    Mein Brustkorb blähte sich auf und wehrte sich gegen einen unsichtbaren Ring. So musste es sich anfühlen, wenn man ertrank. Ich blies die Backen auf. Ich versuchte herauszufinden, was ich in diesem Moment empfand. Ja, das war die Frage! Aber was ist die Antwort? Was wäre denn hier bitte schön zu denken? Verrät mir das jemand?
    Ich würde gerne von einem Schauer erzählen, von einem Schock über den weichgeklopften Körper, der plötzlich in meinen Armen lag. Ich würde gerne von einer Welle aus Mitgefühl erzählen, die sich in mir ausbreitete. Die Wahrheit ist jedoch, dass ich mich an ein solches Gefühl nicht erinnere. Ich sehe zurück, ich suche in den Seiten meiner Erinnerung. Ich schaue in diese Figur hinein, die ich in dieser Szene stehen sehe, und ich finde nur ein Gefühl des Ertapptseins. Ich riss die Hände hoch wie ein Fußballer nach einem Foul. Als könnte ich so die Verantwortung noch zurückweisen. Als Gegenargument glitt der fremde Gefoulte langsam an mir hinab. Er kippte zur Seite. Klatschte auf den Asphalt.
    Ich war völlig verwirrt. Wo war ich eigentlich? Was war denn auf einmal in uns gefahren? Warum plötzlich eine Schlägerei? Auch heute noch kann ich darauf nicht wirklich antworten. Ich gehe noch einmal durch, wie ich mich in diese Situation manövriert habe. Leo und ich hatten sofort reagiert, als wären wir hündisch einem Befehl gefolgt. Wir hatten den Mann am Arm gepackt und ihn Hannes zur Verfügung gestellt. Eine interessante Sache, James! Plötzlich bist du Täter! Und dann bemerkst du auch noch, dass du dir während der Schlägerei kein einziges Mal Gedanken gemacht hast, ob es so etwas wie ein Richtig oder Falsch gebe. Nein, du hast einfach nur zugepackt. Du hast nach dem Arm gegriffen! So einfach ist das nämlich! Da denkst du gar nicht, sondern reagierst nur. Nicht mehr und nicht weniger. So einfach, so unfassbar.
    Aber rundherum war immer noch diese vorwurfsvolle Stille. Das nagte ein bisschen. Nein, das nagte sogar ziemlich.
    Nicht jeder ging damit gleich um. Hannes hatte ein eigenes Rezept dagegen. Er trat noch einmal zu. Mir wurde kalt. Hannes stand vor mir und fixierte den Körper auf dem Boden. Insgeheim hoffte ich, dass er sich nicht mehr bewegen würde. Der Hass züngelte immer noch aus Hannes’ Augen, während er den leblosen Körper am Boden belauerte. Er wartete, wartete nur auf eine Bewegung. Denn jede Bewegung wäre ein Grund für weitere Vergeltung.
    Wer so ein Gesicht sieht, weiß nicht mehr, woran er glauben soll. Schrecklich ist es, James, einfach nur schrecklich.
    Ich riss mich selbst aus meiner Erstarrung. Ich packte Hannes am Oberarm, reflexartig schnellte er herum und hob den Arm gegen mich. Für eine Sekunde war ich nicht sicher, ob er mich erkannte. Dieser Blick, diese Leere in Hannes’ Blick, das war ein Schlag, den ich nicht mehr vergessen würde. Ich war ein Taucher, der der Leere ins Gesicht sehen musste. Ich schwamm über einem tiefen Abgrund, und ich erkannte, dass ich immer tiefer sank.
    Die Tür zum Palace war schmatzend aufgegangen und riss uns aus unserer Starre. Die Augen der Frau klagten uns an. Ich fragte mich, wie lang die ganze Szene eigentlich gedauert hatte. Es fühlte sich an, als wären wir stundenlang vor dem Körper des Mannes gestanden. Bewegungslos.
    Sie stürzte schreiend auf uns zu. Ich verstand kein Wort. Ich hörte nur noch scheppernde Vokale. Doch die Instinkte rissen mich wieder aus der Apathie. Wir mussten weg. Ich drehte mich nach Leo um, packte ihn an der Schulter, zerrte ihn hoch, die Frau schrie, ich hörte Leo leise wimmern, er spuckte, zog eine Blutspur hinter sich her. Hannes stieß Flüche aus, ich antwortete mit einem gepressten Knurren und packte ihn mit der freien Hand. Ich schleppte die beiden hinter mir her. Schnell weg, schnell weg vom Palace.
    Hinter uns kniete die Frau neben unserem Opfer. Hannes wand sich in meinem Griff, drehte sich nach hinten und keifte weitere Beschimpfungen in ihre Richtung. Ich manövrierte die beiden hektisch um die nächste Ecke. Einige Autos fuhren an uns vorbei, ich hörte irgendwo ein Radio laufen, es gab wieder Geräusche, es gab eine Stadt, Leben. Ich beruhigte mich etwas. Wir waren wieder
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