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Hüttengaudi

Hüttengaudi

Titel: Hüttengaudi
Autoren: Nicola Förg
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dass das Ganze mehr als merkwürdig wirkt. Ihr Ex, von dem Sie sich wahrscheinlich nicht in Frieden und Wohlgefallen getrennt haben …« Er sah sie an und lächelte. »Nach meiner Erfahrung trennen sich Menschen nie in Wohlgefallen. Also, da liegt ihr Ex tot im Nebenwickel …«
    Irmi war angeschlagen, und es kostete sie wieder einige Sekunden, zu begreifen, was ihr Kollege ihr damit sagen wollte. Unterstellte er ihr etwa, ihren Exmann gemeuchelt zu haben? »Ich wusste gar nicht, dass Martin in derselben Klinik war«, sagte sie nach einer Weile. »Ich hatte seit fast zwei Jahrzehnten keinen Kontakt mehr zu ihm. Ich war völlig konsterniert, ihn zu sehen.« Irmi fand es extrem unerfreulich, auf der anderen Seite zu stehen. Wie schal solche Sätze klangen.
    Anderl Riedele nickte behäbig. »Ich habe gehört, Sie hätten den Doktor vorhin etwas aufgerüttelt?«
    »Der Wickel war doch gelöst. Ich gehe davon aus, dass jemand im Raum gewesen sein muss.« Sie machte eine kurze Pause. »Ich war es nicht. Oder glauben Sie, ich hätte mich auswickeln können und dann wieder so akkurat einwickeln?«
    »Sie hätten einen Komplizen oder eine Komplizin haben können.« Riedele lachte gutmütig.
    »Das glauben Sie aber selber nicht, oder?«
    »Nein. Aber natürlich warten wir die Ergebnisse ab.« Er zückte ein Stäbchen. »Darf ich?«
    Der Mann wollte allen Ernstes eine DNA-Probe von ihr! Irmi nickte und gab ihm das Stäbchen wenig später mit Speichelprobe retour.
    »Nur wenn’s grad wär …« Er lächelte.
    »Ich weiß. Just in case.« Auf Englisch klang das lässiger. Zufälliger.
    »Sie bleiben ja noch ein bisschen, oder?«, fragte Anderl Riedele.
    »Ja, schon, ich muss das noch mit meiner Freundin besprechen.«
    »Sicher, ich halt Sie auf dem Laufenden, Frau Mangold.« Er machte eine kurze Pause. »Und essen Sie was. Das Leben ist kürzer als dieser Löffel.« Er wedelte mit einem Kaffeelöffel. »Das sagt Janosch. Oder der kleine Tiger.« Er lächelte wieder. »Das Blaue Haus kann ich empfehlen. Machet’s guat.«
    Dann ging er, während Irmi im leeren Stüble unter dem skurrilen Büble-Poster sitzen blieb. Sie sah auf die Uhr. Es war noch nicht mal acht. Andere hatten den Tag noch gar nicht begonnen, ihrer hatte jetzt schon viel zu viele Stunden.
    Langsam erhob sie sich, und noch langsamer ging sie zurück in den Speisesaal. Die meisten saßen nun beim Frühstück oder wie man diese Ansammlung von nichts nennen wollte. Lissi hatte den Blick gehoben. Erwartung lag in ihren Augen, auch etwas Gehetztes.
    Irmi sank auf die Bank. »Kaffee mit viel Milch«, bestellte sie bei der Servicekraft.
    »Aber Ihre Kur, Frau Mangold, viele haben mal so einen Durchhänger, also …«
    »Ich habe keinen Durchhänger. Ich will und brauche Kaffee. Sofort!« Wieder schaute der halbe Speisesaal herüber.
    Dann stand Irmi auf und holte sich am Büfett eine Breze und ein Stück Butter – es gab hier ja auch »normale« Gäste. Irmi stoppte die Besitzerin, die nun auch etwas sagen wollte, mit einem scharfen Blick. Setzte sich wieder und strich Butter auf das gekringelte Backwerk. Es kam ihr fast vor wie eine kultische Handlung. Dann biss sie in die Breze. Herrlich!
    Lissi hatte sie die ganze Zeit angestarrt. Wie ein Schulkind, das im Chemieunterricht einen besonders gefährlichen Versuch verfolgt. Irmi konnte sich an ihre eigene mäßig erfolgreiche Schulkarriere erinnern. Da hatte es diesen völlig verwirrten Chemielehrer gegeben, der einen gewaltigen Versuch angekündigt hatte, zu dem sie sich sogar Schutzkleidung mitbringen sollten. Die Klasse hatte natürlich eine Show draus gemacht und sich mit Wolldecken und Mützen ausgerüstet. Der Versuchsaufbau hatte fast die ganze Stunde gedauert. Dann war der große Moment gekommen. Doch es hatte grad mal »pffft« gemacht – und das war es dann gewesen. Darüber war der Lehrer noch verwirrter geworden und hatte ein Jahr später den Dienst quittiert. Heute nannte man das Burn-out. Aber wieso musste Martin wieder auftauchen? Und gleich so. Sie war wütend auf ihn, als könne er etwas dafür. Was legte sich dieser Idiot auch tot in den Nebenwickel?
    Lissi starrte sie immer noch an.
    »Lissi, hol dir auch eine Breze, iss was. Nach dem zweiten Kaffee bin ich eventuell wieder ein Mensch und beantworte deine Fragen. Falls es da was zu fragen gibt.«
    Ihre Nachbarin stand auf, ging tatsächlich zum Büfett und kam mit einer Käsesemmel wieder. Sie aßen schweigend. Nach der Breze war Irmi pappsatt.
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