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Hüttengaudi

Hüttengaudi

Titel: Hüttengaudi
Autoren: Nicola Förg
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gerade in der Dolly-Buster-Liga gespielt. Das knochige Dekolleté gefiel ihr wirklich nicht. Sie drehte sich um und blickte über die Schulter. Kein Arsch in der viel zu weiten Jeanshose. Man konnte es nicht mal auf den Modetrend der »Boyfriend-Jeans« schieben. Das war eine ganz normale Damenhose, die ihr früher mal richtig gut gepasst hatte.
    Dann schob sie das Kinn näher an den Spiegel heran und betrachtete ihr Gesicht. Sie war hübsch, das war sie immer schon gewesen. Auf der Stirn traten erste schmale Falten zum Vorschein, in den Augenwinkeln auch. Sie würde in ein paar Tagen dreißig werden und dabei ziemlich »mooger« daherkommen.
    Dabei aß sie genug, mehr als Irmi und ihre Kollegin Andrea, die schon zunahmen, wenn sie das Wort Fleischsalat nur dachten oder die Torte bloß durch die Scheibe beim Konditor ansahen. Richtig neidisch waren die beiden auf sie.
    Jetzt allerdings war sie zugegebenermaßen arg schmal geworden. Das lag auch an ihrem Neuen. Sven studierte Architektur in München und war erst fünfundzwanzig. Außerdem war er Veganer. Und weil Kathi dieses ganze Grün- und Körnerzeug nicht mochte, ihn aber nicht durch den Verzehr toter Tiere provozieren wollte, aß sie lieber gar nichts.
    Sie und Sven hatten sowieso wenig Zeit zum Essen. Schließlich gab es auch Wichtigeres, wenn der eine nächtelang über Modellen in München saß und die andere mit unmöglichen Dienstzeiten in Garmisch. So oft trafen sie sich nicht, aber wenn sie sich trafen … Kathi war jedes Mal ein wenig überrascht, dass ein eher anämischer Kulturmensch es im Bett so krachen lassen konnte.

1
    Da saß sie nun in dem eher puristisch eingerichteten Hotelzimmer. An den Wänden hingen Bilder von Allgäuer Landschaften. Der Hochgrat, der Alpsee, eine üppig geschmückte Kuh beim Almabtrieb. Oder nein, hier hieß das ja Viehscheid.
    Eine Einführungsveranstaltung hatte es gegeben mit Erklärungen, die Irmi auch nicht gerade beruhigt hatten. Sie wurden aufgeklärt, dass der Name Schrothkur nichts mit Schrot und Korn zu tun hatte, sondern von einem schlesischen Fuhrmann namens Johann Schroth stammte. Der Mann hatte irgendwann um 1820 nach einem Pferdetritt ein steifes Knie bekommen, sich erfolgreich mit feuchtkalten Wickeln behandelt und daraus dann die Therapie mit einem Ganzkörperwickel abgeleitet. Seine Beobachtung, dass krankes Vieh die Nahrung verweigerte und wenig trank, übertrug er als Diät mit sogenannten Trockentagen auf den Menschen. Er musste ein echter Marketingprofi gewesen sein, denn schon bald hatte er sich einen Ruf als »Wunderdoktor« erarbeitet und eine Kurklinik in Niederlindewiese im heutigen Tschechien eröffnet.
    Hermann Brosig, einer der dortigen Kurärzte, war nach englischer Kriegsgefangenschaft nach Oberstaufen gelangt und hatte dort die Schrothsche Heilkur eingeführt.
    Nicht, dass Irmi dem Mann seine Karriere nicht gegönnt hätte und sein Überleben im Krieg. Aber hätte der nicht durch Kriegstraumatisierung den ganzen Blödsinn vergessen und mit irgendwas anderem sein Geld verdienen können? Und Oberstaufen – und damit ihr – den Schrothwahnsinn ersparen?
    Irmi verfluchte Schroth, Brosig und Lissi, sich selbst aber am allermeisten. Sie hätte ja nur nein sagen müssen. Nun aber saß sie hier neben ihrem Koffer auf dem Bett und wusste, dass sie in wenigen Minuten zum Abendessen antreten sollte.
    Abendessen war ein großes Wort. Sie sollte hier zwei Wochen lang cholesterinfreie Nahrung zu sich nehmen, ohne tierisches Eiweiß und Fette. Kein Salz, nur Kohlenhydrate und das im Umfang von fünfhundert Kalorien am Tag. Wussten diese Wahnsinnigen denn nicht, was allein eine einzige Leberkas-Semmel an Kalorien hatte? Von fünfhundert Kalorien konnte doch kein bayerischer Mensch leben!
    Ihre schlimmsten Befürchtungen wurden wahr. Das dreigängige Menü bestand aus einem Süppchen, das wenig mehr war als gewürztes Wasser, gekochtem Gemüse als Hauptgang und Kompott als Hauch eines Nachtisches. Himmel, ihre Zähne hatte sie doch noch! Schon jetzt sehnte sie sich danach, einfach mal herzhaft in etwas hineinzubeißen.
    Lissi war sehr still geworden, das Gespräch verlief eher schleppend. Klar, Lissi fühlte sich schuldig! Gut so, fand Irmi. Ihre Nachbarin murmelte, dass sie gleich ins Bett gehe, weil sie doch gestern noch eine Problemgeburt im Stall gehabt habe und die ganze Nacht wach gewesen sei.
    Nun, Irmi war nicht böse um die frühe Schlafenszeit und ruhte trotz ihres Grants gut und traumlos.
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