Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hüter der Macht

Hüter der Macht

Titel: Hüter der Macht
Autoren: Rainer M. Schroeder
Vom Netzwerk:
mit Wasser zu füllen und sich auch gleich den Schlaf aus dem Gesicht zu waschen, als wieder dieser leise Schrei ertönte. Erschrocken blieb er stehen. Er hatte also doch nicht geträumt.
    Er spähte zu dem dunklen Waldstück, das sich links von ihm auf dem sanft abfallenden Hang ausbreitete. Von dort war der Schrei gekommen. Angestrengt lauschte er in den jungen Morgen und wartete.
    Da war er wieder, diesmal deutlich lauter und verzweifelter! Aber warum brach er so unvermittelt ab? Es klang, als würde die Frau daran gehindert weiterzuschreien!
    Sandro zögerte nicht länger und lief los, immer am Bach entlang. Bald hatte er das Waldstück erreicht.
    So schnell er konnte, rannte er über den engen Waldweg, der sich erst durch ein gut hundert Schritte langes Stück macchia schlängelte, zähes und immergrünes Buschwerk, das aus allerlei dornigen Gewächsen wie Stechpalmen, Ginster und anderen stachligen Sträuchern bestand, um dann wieder dicht wachsenden Pinien Platz zu machen, die den Hang bedeckten. Und immer noch drangen diese furchtbaren Schreie zu ihm herüber.
    Als Sandro schon fast am Fuß des bewaldeten Hanges angekommen war, fiel sein Blick auf eine große Lichtung mit einem kleinen Teich, der von dem Bach gespeist wurde. Schwer atmend blieb er stehen und jetzt endlich sah er, was es mit den Hilferufen auf sich hatte.
    Versteckt hinter einem dichten Busch, beobachtete er, wie zwei kräftige Burschen mit nacktem Oberkörper im hüfthohen Wasser des Teiches standen und sich anscheinend einen Spaß daraus machten, eine junge Frau immer wieder unter Wasser zu drücken und sie erst nach langen Augenblicken wieder hochzuziehen und zu Atem kommen zu lassen. Die Frau, die nur mit einem dünnen Untergewand bekleidet war, wehrte sich mit Händen und Füßen, was die beiden aber nur noch mehr anzustacheln schien. Immer wenn sie anfing, um Hilfe zu schreien, tauchten die beiden Männer sie unter.
    Sandro handelte, ohne lange zu überlegen. Rasch holte er einen Bolzen aus Eschenholz mit dornenspitzer Eisenkappe aus seinem Beutel, nahm ihn zwischen die Zähne, griff zu seiner Armbrust und spannte den Bogen. Dann drang er hinter den Bäumen hervor, sprang über den Bach und lief auf den Teich zu. Die gespannte Armbrust hing von seiner rechten Schulter herab, mit dem Arm hatte er sie fest an seine Seite gepresst. Den Bolzen hielt er in der linken Hand, bereit, ihn jeden Augenblick aufzulegen.
    Die beiden Männer, die ein paar Jahre älter zu sein schienen als er, sahen nicht nach einfachem Landvolk aus, sondern eher nach Städtern, wenn auch niederen Standes. Sie waren so sehr damit beschäftigt, ihr Opfer zu quälen, dass sie ihn erst bemerkten, als er, keine zehn Schritte mehr von ihnen entfernt, ausrief: »Aufhören! Schluss damit! Lasst sie endlich los! Wenn ihr so viel Spaß daran habt, andere zu quälen, solltet ihr euch lieber als Folterknechte verdingen!«
    Die beiden Männer fuhren herum. Aber sie wirkten nicht erschrocken, sondern nur überrascht. Immerhin gaben sie ihr Opfer frei.
    Hustend und nach Luft ringend, kroch die junge Frau ans Ufer und sackte neben einem sorgfältig zusammengelegten Kleid aus moosgrünem Stoff zusammen. Mit letzter Kraft griff sie danach und hielt es sich schützend vor ihren schlanken Körper. Wasser rann aus ihren langen schwarzen Haaren, die ihr in wirren Strähnen ins Gesicht hingen. Und dazwischen blickten zwei riesige Augen zu Sandro auf, deren Iris wie Bernstein schimmerte. Er las Todesangst in ihnen, aber auch Erleichterung.
    Erst jetzt erkannte Sandro, dass es sich nicht um eine junge Frau handelte, sondern um ein Mädchen. Es war ein wenig jünger als er, vielleicht vierzehn, höchstens fünfzehn Jahre alt.
    »Halt dich da raus, Fremder!«, rief einer der beiden Männer schroff. »Was wir hier tun, geht dich einen feuchten Kehricht an! Wir tauchen sie so lange unter, wie es uns passt, kapiert? Also geh besser deiner Wege, bevor es auch für dich ungemütlich wird!«
    »Du sagst es, Gino! Das Miststück hat die Behandlung mehr als verdient!«, mischte sich der andere ein. Plötzlich bemerkte er Sandros Armbrust und beinahe entschuldigend fügte er hinzu: »Die hat sich nämlich kurz vor Morgengrauen aus unserem Lager geschlichen, weil sie sich aus dem Staub machen wollte. Und das hätten wir dann bei unserem Patron in Florenz bitter ausbaden müssen!«
    »Das … Das stimmt nicht!«, stieß das Mädchen atemlos hervor. »Ich … Ich wollte nicht weglaufen! Bestimmt nicht! …
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher