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Hüter der Macht

Hüter der Macht

Titel: Hüter der Macht
Autoren: Rainer M. Schroeder
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Leichtgewicht, von dem geht keine Gefahr aus.«
    Der Hagere sog scharf die Luft ein. »Ihr wollt seinen Tod? Unmöglich! Das würde eine blutige vendetta und womöglich sogar einen Aufstand des Pöbels zur Folge haben.«
    »Alles muss so geschickt eingefädelt sein, dass gar kein Verdacht auf unsere Kreise fallen kann. Es muss aussehen wie die Bluttat irgendeines Straßenräubers und außerdem muss die Tat fern von Florenz verübt werden.« Der Wortführer der Verschwörer lächelte heimtückisch. »Ist es nicht ein glücklicher Zufall, dass die Familie sich im Augenblick auf einem ihrer Landsitze im Mugello aufhält und dass mit ihrer Rückkehr in die Stadt nicht vor Mitte oder gar Ende September zu rechnen ist? Jeder weiß, dass sich in diesen wirren Kriegszeiten Gesindel und ausgemusterte Landsknechte aus den Söldnertruppen da draußen auf dem Land herumtreiben. Da muss man sich nicht wundern, wenn es zu einem bedauerlichen Zwischenfall kommt, der tödlich endet.«
    Lange herrschte angespanntes, nachdenkliches Schweigen in der Sakristei. Aus der Kirche drang leise der Gesang der Mönche zu ihnen.
    Schließlich meldete sich der Hagere zu Wort: »Und wer soll der Bravo sein, der die Bluttat ausführt?«
    »Das lasst meine Sorge sein! Ich werde dafür sorgen, dass nicht einmal der Hauch einer Spur zu uns führen wird«, versicherte der Hochgewachsene. »Und jetzt frage ich Euch, ob mein Vorschlag Eure Zustimmung findet.« Schweigend heftete er seinen Blick der Reihe nach auf jeden seiner vier Mitverschwörer. Dann stellte er seinen Becher auf den Tisch, streckte seine Rechte aus und richtete den Daumen nach unten auf den Steinboden.
    Augenblicke später zeigten auch vier andere Daumen auf die kalten dunklen Steinplatten der Sakristei von San Marco.
    »Tod dem Cosimo de’ Medici!«, stieß der Hochgewachsene leise hervor.
    »Tod dem Cosimo de’ Medici!«, wiederholten die anderen im Chor.
    Es war der 1. September 1427.

E RSTER T EIL S EPTEMBER 1427
    »Aus keiner Gefahr
    rettet man sich ohne Gefahr.«
     
    Niccolò Machiavelli

1
    S andro Fontana erwachte aus einem wirren Traum. Das halb erstickte Schreien einer weiblichen Stimme klang in ihm nach, als er die Augen aufschlug und eine dicke Spinne über seinen linken Oberarm krabbeln sah. Rasch fegte er sie mit der rechten Hand herunter und richtete sich auf. Erstes samtweiches Morgenlicht fiel durch große klaffende Lücken im Dachgebälk der halb eingestürzten Bretterhütte, in der er tags zuvor bei Einbruch der Dunkelheit sein primitives Nachtlager aufgeschlagen hatte.
    Mit steifen Gliedern kam er auf die Beine, tastete im Halbdunkel nach seiner alten Armbrust, hängte sie sich an ihrem breiten Ledergurt über den Rücken und griff zu seinem Beutel aus grobem Sackleinen, der all sein Hab und Gut enthielt, und das war kläglich wenig.
    Das letzte Stück Brot und Käse hatte er am Abend verzehrt. Er musste unbedingt versuchen, sich als Tagelöhner irgendwo auf einem Landgut Arbeit zu verschaffen, bevor er seine Reise nach Florenz fortsetzte. Zwar war er nur noch etwa anderthalb Tage Fußmarsch von seinem Ziel entfernt, aber mit leerem Magen war das ein elend langer Weg, zumal bei der drückenden Hitze, die auch Mitte September noch über der Toskana lag. Außerdem wollte er ein paar Piccioli in der Tasche haben, wenn er endlich in Florenz eintraf. Dann hatte er mehr Zeit, sich in der Stadt nach einer anständig bezahlten Arbeit umzusehen. Denn nur so würde sein größter Wunsch in Erfüllung gehen: endlich das unstete Leben aufzugeben. Er hatte das rastlose Herumwandern so satt! Nachdem er Hals über Kopf aus Ferrara geflohen war, hatte das Schicksal ihn kreuz und quer durch die Lande getrieben. Nirgends hatte er es länger ausgehalten. Er war zwar noch jung, aber manchmal fühlte er sich ausgelaugt und auch ein bisschen einsam, und er sehnte sich nach einem Leben in Ruhe und Gleichmaß. Aber vielleicht würde sich das Blatt in Florenz ja wenden.
    Sandro kroch unter den halb verrotteten Brettern und Balken der Hütte hervor. Schirmpinien warfen lange nachtschwarze Schatten über den schmalen sandigen Pfad, auf dem er bis zu diesem einsamen Ort im Wald gelangt war. Ein Einheimischer hatte ihm gestern Mittag am Brunnen eines Dorfes zu dieser Abkürzung geraten, mit der er seinen müden Füßen angeblich einen halben Tag ersparte.
    Gerade wollte er hinüber zu dem klaren Bach gehen, der hinter der verfallenen Hütte vorbeifloss, um seinen knurrenden Magen zumindest
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