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Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe

Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe

Titel: Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe
Autoren: Jörg S. Gustmann
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Der Alte hatte sich bei ihr eingehakt, und sie trug den Spaten. Eine sonderbare Vertrautheit hatte sich zwischen ihnen ausgebreitet, und sie fühlte sich rundherum glücklich.
    »Was kann ich denn kochen? Haben Sie irgendwelche Zutaten?
    »Kein Problem. Hinter dem Haus findest du alles, was du brauchst: Tomaten, Zucchini, Gurken und Oliven für einen Salat. Ich habe noch ein halbes Hühnchen von den Brüdern bekommen und einen Laib Brot. Ich denke, damit werden wir auskommen.«
    Schlendernd erreichten sie das Haus Montesis. Und während Raphaela für sie beide kochte, räumte der Alte in seinem Haus herum. Sie hatte bald einen herrlichen Salat hergerichtet, weil die Küche des Mannes eine erstaunliche Vielfalt an selbst hergestellten Gewürzen und Zutaten bot. Die junge Frau deckte den Tisch, der vor dem Haus stand, und fand sogar eine Tischdecke mit einem Blumendekor, die eine Pilgerin den Mönchen geschenkt hatte und die eines Tages bei Montesi gelandet war. Raphaela pflückte noch einen kleinen Strauß roter Mohnblumen und weißer Margeriten und stellte diese in ein längliches Glas, das als Vase diente.
    Zum Essen genossen die beiden roten Wein von einem benachbarten Weingut. Sie aßen und tranken und freuten sich über ihre ungewöhnliche Freundschaft. Von Montesi war eine Last abgefallen, die ihn ein Leben lang auferlegt war. Die Grillen zirpten, als die Sonne am Horizont verschwunden war, und mit ihrem Fortgehen kamen die Mücken.
    »Es gibt zwei Möglichkeiten für dich, hier zu übernachten. Das Kloster verfügt über einige, wenn auch karge Gästezimmer. Ich habe das alles im Vorfeld für dich organisiert. Wenn du möchtest, kannst du auch hier im Haus schlafen. Ich habe dir ein Zimmer hergerichtet, in dem ich früher geschlafen habe. Seit ungefähr zehn Jahren schlafe ich auf einer dünnen Matte auf dem Boden. Ich habe festgestellt, dass es meinem Rücken zuträglicher ist, wenn ich einen harten Untergrund unter mir habe. Es steht dir also ein ganz normales Bett zur Verfügung.«
    Raphaela dachte eine Weile nach, während sie die letzten Reste des Essens verdrückte. Die Atmosphäre an diesem Ort war wundervoll. Die junge Frau liebte den Geruch des wilden Fenchels, des Salbeis und der anderen Kräuter und Gewürze, die der Alte angelegt hatte. Kurzentschlossen sagte sie. »Wenn es Ihnen keine Umstände macht, nehme ich Ihre Gastfreundschaft gern für eine Nacht in Anspruch. Ich muss morgen den Leihwagen ohnehin in Rom abgeben, aber zuvor können wir noch in Ruhe frühstücken.«
    Montesi lachte. »Ich werde dann schon einige Stunden auf sein, mein Tag beginnt mit dem ersten Sonnenstrahl. Ich gehe mit meiner alten Bibel auf die kleine Anhöhe und genieße die Zeit zusammen mit meinem Gott. ›Morgenwache‹ nannte das der Psalmist. Wenn du wach wirst, habe ich das Frühstück schon fertig. Wie wäre es mit frischen Eiern von unseren Hühnern?«
    »Klingt gut. So machen wir es.«
    »Ich werde jetzt schlafen gehen, wenn es dir recht ist. Ich fühle mich sehr müde und möchte noch etwas lesen.«
    »Na klar. Ich bringe das hier in Ordnung.« Raphaela räumte das Geschirr zusammen und ließ sich zuvor vom Pater die bescheidene Kammer für die Nacht zeigen. Sie ging sie in die Küche zurück und spülte das Geschirr ab.
    Montesi kam zu ihr in die Küche und sah ihr bei der Arbeit zu. »Ich hätte gerne eine Frau gehabt. Besonders schlimm war es für mich, als ich noch jung war. Natürlich, die anderen Brüder hatten ja auch keine Frau, doch in meiner Fantasie spielten sich pausenlos Szenen ab, wie ich sie heute Abend mit dir erlebt habe, nur dass ich damals fünfzig Jahre jünger war als heute. Aber sonst stimmte alles. Im Frieden mit einer Frau hier draußen zu sitzen, zu essen und zu trinken … ganz alltägliche Dinge und doch … Ich danke dir, dass du gekommen bist.«
    Raphaela war berührt von der Offenherzigkeit des alten Mannes und kommentierte die letzten Sätze nicht. Bevor er in seinem Zimmer verschwand, drehte er sich zu ihr um. »Leb wohl mein Kind und: Gott segne dich.«
     
    Die Nacht brachte Raphaela nicht die erhoffte Erholung. Zu viele Dinge spukten in ihrem Kopf herum. Ihr ganzes Weltbild hatte sich an einem Tag verändert: Ihre alten Glaubensregeln hatten sich in Luft aufgelöst, und der Virus der Lanze hatte sie verlassen. Sie lag auf dem Bett und hörte auf das Zirpen der Grillen vor ihrem Fenster. Spät in der Nacht fiel sie in einen unruhigen Schlaf. Ihr Bauchgefühl sagte ihr, sie solle
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