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Hueter der Daemmerung

Hueter der Daemmerung

Titel: Hueter der Daemmerung
Autoren: L. A. Weatherly
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verkriechen.
    »Wenigstens besteht die Hoffnung, dass die Leute jetzt nicht mehr ganz so oft auf mich schießen werden«, sagte ich.
    »Das ist der Sinn der Sache«, stimmte er zu. »Weil, weißt du … ich hätte es nämlich ganz gerne, dass du noch ein wenig unter den Lebenden weilst.« In seinen Augen flackerte eine Erinnerung auf. Und ohne dass ich seine Gedanken lesen musste, wusste ich, woran er dachte: An den schlimmsten Tag in unser beider Leben, als er mich im Arm gehalten und gedacht hatte, ich wäre gestorben. Das war erst gestern gewesen. Ich verschränkte meine Arme fester über seinen. Und ich war ja auch gestorben. Wenn Alex nicht da gewesen wäre, um mich zurückzuholen, wäre ich jetzt nicht hier.
    »Das habe ich auch vor«, sagte ich sanft. Der tränenförmige Kristallanhänger, den er mir geschenkt hatte, funkelte im Licht. »Zusammen mit dir für lange, lange Zeit unter den Lebenden zu weilen.«
    »Abgemacht«, sagte Alex.
    Sein Spiegelbild senkte den Kopf und ich erschauerte, als seine warmen Lippen meinen Hals streiften. Dann blickte er auf und lauschte. Eine neue Stimme drang aus dem Fernseher: eine Anruferin mit einem breiten Südstaatenakzent. »Die muss doch krank sein, ganz einfach krank. Aber auch wenn sie verrückt ist, kann sie trotzdem gefährlich sein. Das erkennt man doch schon auf diesem Foto – dieser gestörte Blick in ihren Augen …«
    In Wirklichkeit war mein Blick im Moment eher besorgt als sonst irgendetwas. Alex und ich gingen zurück ins Zimmer, wo die beiden Nachrichtensprecher auf dem Bildschirm ernst mit den Köpfen nickten und zustimmten, dass ich in der Tat gestört sein müsse, um einen »Terroranschlag« auf die Church of Angels zu verüben – so bezeichneten die Medien meinen Versuch, die Pforte zwischen der Welt der Engel und unserer eigenen zu verschließen.
    Ich ließ mich aufs Bett sinken. Die Kirche behauptete, ich hätte versucht, in der Kathedrale eine Bombe zu zünden. Und dass ich die Engel so sehr hasste, dass ich geplant hatte, das ganze Gebäude in die Luft zu sprengen – ohne Rücksicht auf die Zigtausend Gläubigen, die sich dort versammelt hatten, um die Ankunft der Zweiten Welle mitzuerleben. Ich, eine gestörte Bombenlegerin. Die Vorstellung wäre direkt komisch gewesen, hätten Alex und ich nicht in so großer Gefahr geschwebt.
    Ein Bild von der Kathedrale in Denver erschien. Es war am Vortag aufgenommen worden und zeigte ihre ausladende weiße Kuppel und die wuchtigen Säulen. Der angrenzende Parkplatz platzte aus allen Nähten, Menschenmassen drängten sich zwischen den geparkten Autos. Und aus den weit geöffneten hohen silbernen Kirchentüren strömten unzählige Engel. Ich hatte mir den Bericht nun schon mehrere Male angeschaut, trotzdem konnte ich mich immer noch nicht davon losreißen. Der Anblick der Engel, die sich in einem endlosen Strom voller Licht und Anmut aus der Kathedrale ergossen, während ihre Flügel in den Strahlen der untergehenden Sonne golden aufleuchteten, übte eine morbide Faszination auf mich aus. In ihrer himmlischen Erscheinungsform waren Engel normalerweise unsichtbar, außer für die Menschen, von denen sie sich gerade nährten. Aber als die Zweite Welle in unsere Welt einfiel, machten sie eine Ausnahme. Sie wollten den Jubel der Menschen hören, hatte Nate uns erklärt. Das Schlachtvieh, das seine Schlächter bejubelte.
    Die Zweite Welle und ich waren die Sensation des Tages. Alle Welt schien darüber zu debattieren: Waren die Aufnahmen von den Engeln nun echt oder gefälscht? Und was bedeutete es für unsere Welt, wenn sie echt waren? In den Nachrichten liefen wieder und wieder dieselben Filmausschnitte, während der Ticker am unteren Bildrand die Schlagzeile verkündete: Ankunft der himmlischen Heerscharen. Wenn sie davon genug hatten, nahmen die Kommentatoren weitere Anrufe aus allen Teilen des Landes entgegen. Es riefen Menschen an, die gesehen hatten, wie die Engel eintrafen. Menschen die wünschten, sie hätten gesehen, wie die Engel eintrafen. Menschen die dachten, sie hätte mich gesehen. Menschen die sich wünschten, mich zu sehen, damit sie dafür sorgen könnten, dass ich bekäme, was ich »verdiente«.
    Angespannt verfolgte ich das Ganze und konnte immer noch nicht richtig glauben, dass ich nur sechs Wochen zuvor ein relativ normales Leben geführt hatte – zumindest so normal, wie es eben möglich war, wenn man Gedanken lesen kann und gerne Autos repariert. Und dann hatte ich Beth Hartley, einem
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