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Hueter der Daemmerung

Hueter der Daemmerung

Titel: Hueter der Daemmerung
Autoren: L. A. Weatherly
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protestieren, doch dann schien ihm klar zu werden, was ich meinte. »Okay«, sagte er. »Sei vorsichtig.«
    Ich nickte. Und mit einem tiefen Atemzug tauchte ich in mein Inneres und rief nach meinem Engel.
    Sie war da und wartete auf mich – eine strahlende, geflügelte Version meiner selbst. Der Engel ohne Heiligenschein, Teil meines Ichs. Ihre Flügel waren anmutig hinter ihrem Rücken gefaltet und ich sah, dass auch ihre Haare, die ihr heiteres und gelassenes Gesicht umrahmten, jetzt kurz waren. Meine Schultern entspannten sich ein wenig. Allein ihre Nähe war eine Wohltat.
    Mit einem kleinen mentalen Ruck verlagerte ich mein Bewusstsein in ihres und verließ meinen menschlichen Körper. Meine Engelsflügel entfalteten sich; schimmernd stieg ich durch das Moteldach und schoss hinaus in den Spätnachmittag hier in Colorado. Fliegen. Sogar in Zeiten wie diesen durchrieselte mich ein Glücksgefühl, wenn ich meine neue Fertigkeit erprobte. Ich war gerade erst dabei, meine Engelpersönlichkeit zu entdecken. Die meiste Zeit meines Lebens hatte ich nicht einmal gewusst, dass es sie gab.
    Die kühle Novemberluft strich mir über die Flügel, als ich zur Rezeption hinüberflog. Ein leichtes Gekräusel, und schon glitt ich durch die Hauswand – und dann sah ich den Angestellten von letzter Nacht. Er stützte sich mit einem Ellenbogen auf den Empfangstresen und telefonierte. Dabei starrte er auf den laufenden Fernseher, der in einer Ecke der Lobby stand.
    Vom Bildschirm lächelte ihm mein Schulfoto entgegen.
    »Na ja, ich kann die Hand nicht dafür ins Feuer legen, aber … ja, doch, ich bin mir verdammt sicher«, sagte er. »Sie sind gestern Abend so gegen zehn hier eingetroffen, total fix und fertig. Und heute Morgen haben sie den Manager gebeten, ihren Aufenthalt um eine Nacht zu verlängern. Sie sind immer noch da. Soweit ich weiß, waren sie heute den ganzen Tag noch nicht draußen.«
    Angst schnürte mir die Kehle zu. Immerhin hatte er nicht mitbekommen, dass Alex kurz unterwegs gewesen war, um das Haarfärbemittel und die Schere zu kaufen. Ich sank nach unten und landete. In meiner Engelsgestalt fühlte sich der Teppich unter meinen Füßen seltsam und unwirklich an. Im Motelzimmer saß meine menschliche Gestalt immer noch auf dem Bett und hielt ganz fest Alex’ Hand.
    »Sie müssten eigentlich bald kommen, um für die zweite Nacht zu bezahlen. Soll ich sie für Sie festhalten? Oh, okay … ja, verstehe …«
    Hinter dem Tresen stand eine weitere Angestellte. Sie machte große Augen, während sie wartete. Als der Mann auflegte, fragte sie: »Und?«
    »Sie hat gesagt, wir sollen uns von ihnen fernhalten. Sie schicken umgehend jemanden los. Gleich kommt ein Streifenwagen – er ist nur ein paar Blocks entfernt.« Er schüttelte den Kopf. »Mann, voll der Wahnsinn, wenn sie es wären, oder? Gefährliche Gangster auf der Flucht, und das in einem verschlafenen Nest wie Trinidad …«
    Den Rest hörte ich nicht mehr, da ich mit wild schlagenden Flügeln zurück zu unserem Zimmer raste. Ich fand meine menschliche Hülle und schlüpfte wieder hinein. Dann riss ich die Augen auf. »Der Mann am Empfang gestern Abend – er hat uns erkannt!«, brach es aus mir heraus. »Die Polizei ist schon unterwegs.«
    Alex fluchte und sprang mit einem Satz vom Bett. »Okay, das war’s – wir müssen hier raus, sofort]« Er knöpfte seine Jeans auf, um sein Holster mit der Pistole anzulegen. Als beides sicher unter seinem Hosenbund verborgen war, stürzte er ins Badezimmer und raffte den Augenbrauenstift und das Haarfärbezubehör zusammen. Er schmiss alles in die leere Einkaufstüte, zusammen mit den langen Haarsträhnen von mir, die auf den Boden gefallen waren. Dann wischte er mit einem Motelwaschlappen über sämtliche Oberflächen, um die Spuren der Haarfarbe zu entfernen, und stopfte ihn ebenfalls in die Tüte.
    Ich versuchte, Ruhe zu bewahren, und tastete nach den schwarzen Pumps, momentan die einzigen Schuhe, die ich besaß. Dann hörte ich etwas im Fernsehen und hob den Kopf. Meine Hände verharrten mitten in der Bewegung.
    »… neue, dramatische Entwicklung, wie die Polizeibehörde in Pawntucket, New York, gerade offiziell bekannt gegeben hat. Dieses Bild bot sich letzte Nacht in der Nesbit Street, dem früheren Wohnsitz der mutmaßlichen Terroristin Willow Fields …«
    Tante Jos Haus erschien auf dem Bildschirm. Ich hörte ein heiseres Keuchen und realisierte, wie aus weiter Ferne, dass ich es ausgestoßen hatte. Ich war
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