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Hueter der Daemmerung

Hueter der Daemmerung

Titel: Hueter der Daemmerung
Autoren: L. A. Weatherly
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drückte auf den Einschaltknopf. Die örtliche Schule, deren Computer öffentlich zugänglich waren, hatte heute geschlossen, und während der letzten Nächte war es ihm nicht gelungen, ein Bett in der Jugendherberge zu ergattern, wo ihm höchstwahrscheinlich jemand einen Laptop geliehen hätte. Er tippte langsam ein paar Worte in die Suchmaschine ein. Ein Menü klappte auf, er fand, was er suchte, und traf seine Auswahl.
    Diaz Waisenhaus stand auf der Homepage: Ein Paradies für Kinder. Seb kräuselte die Oberlippe. Er hatte im Lauf der Jahre so einige Waisenhäuser gesehen. Nur wenige konnte man als »Paradies« bezeichnen. Aber von diesem hatte er erst gestern erfahren und er musste es überprüfen – wer weiß, vielleicht fand er ja dort endlich das, wonach er suchte. Bei dem Gedanken schlug sein Herz schneller, obwohl er inzwischen nur allzu gut wusste, wie unwahrscheinlich das war. Er nahm ein Stück Papier vom Schreibtisch der Frau, notierte sich sorgfältig die Adresse und steckte es dann in seinen Rucksack. Das Waisenhaus lag ungefähr hundertfünfzig Kilometer weiter östlich im Vorgebirge der Sierra Madre.
    Dann suchte er sich spontan eine Landkarte von Mexiko im Internet und betrachtete den vertrauten Umriss, während er im Geist die Routen verfolgte, die ihn nun schon jahrelang kreuz und quer durch das ganze Land führten. Er hatte in Mexico City angefangen und seither selten mehr als eine Woche am selben Ort verbracht. Im Moment war er in Presora, ganz in der Nähe von Hermosillo, wo sich Heerscharen von Touristen an den weißen Stränden drängten. Presora war ruhiger und kleiner. Trotzdem hatte er Tage gebraucht, um die Stadt zu durchforsten. Jeden Passanten, dem er auf der Straße begegnet war, hatte er überprüft, jedes Gebäude, in das er ohne Probleme hineinkam, betreten und in die, die ihm verschlossen blieben, hatte er sein anderes Ich geschickt.
    Nichts. Gar nichts. Was keine große Überraschung war – sein Leben lang hatte Seb noch nicht einmal einen Schimmer von dem erhascht, worauf er so sehr hoffte. Aber er musste es weiter versuchen. Mehr konnte er nicht tun.
    Schluss damit. Er hatte bekommen, weswegen er hergekommen war. Er schaltete den Computer aus und stand auf. Gerade als er seinen Rucksack schulterte, fiel sein Blick auf das Bücherregal der Frau und es war um ihn geschehen. Er hockte sich davor und musterte die Bücher mit gierigen Blicken. Viele der Taschenbücher sahen so aus, als wären sie noch nicht ein einziges Mal aufgeschlagen worden, und für einen winzigen Augenblick war Seb schwer in Versuchung – sein aktuelles Buch hatte er fast ausgelesen und er wusste nicht, wann er wieder einen Secondhand-Buchladen finden würde. Er strich über den Einband eines dicken historischen Romans. Genügend Lesefutter für eine Woche.
    Nein. Er war nicht eingebrochen, um etwas zu stehlen, auch wenn er früher nicht lange gefackelt hätte. Seufzend stand Seb auf.
    Als er auf die Treppe zuging, entdeckte er neben der Küche einen Flur, der in ein Bad mit einer Dusche führte. Er zögerte, dann ging er hin und schaute hinein. In dem kahlen, weiß gekachelten Raum befanden sich lediglich ein Gästehandtuch und ein staubig aussehendes Stück Seife, als würde die Dusche dort drin nur selten benutzt. Was vermutlich auch der Fall war – die Frau lebte schließlich allein. Und all ihre Lotionen und Püderchen befanden sich in dem blitzblanken rosa Badezimmer, das er oben im Haus gesehen hatte.
    Ein diebisches Grinsen breitete sich langsam auf Sebs Gesicht aus. Okay, das war nun wirklich unwiderstehlich – seit Tagen hatte er sich nicht richtig waschen können. Seine Klamotten waren sauberer als er. Es war leichter gewesen, in dieser Stadt einen Waschsalon zu finden als ein Bett in der Jugendherberge.
    Er betrat den kleinen Raum und schloss hinter sich ab. Aus seinem Rucksack fischte er eine Tube Duschgel, dann zog er sich aus und duschte lange. Er genoss das heiße Wasser und die Ungestörtheit. Selbst nach so vielen Jahren hatte er nie das Gefühl, dass er beides als selbstverständlich betrachten konnte. Sein Körper war fest und durchtrainiert. Während er duschte, glänzten Narben auf seiner nassen Haut, die er kaum mehr bemerkte – manche, die älteren, waren weiß; andere, frischere, traten rot hervor.
    Sich nicht richtig sauber zu fühlen, hasste er beinahe mehr als alles andere. Es war herrlich, den Dreck der letzten Tage endlich abzuspülen.
    Nach dem Duschen trocknete sich Seb, so
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