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Hueter der Daemmerung

Hueter der Daemmerung

Titel: Hueter der Daemmerung
Autoren: L. A. Weatherly
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kurz darauf hatte er ernsthaft mit seiner Suche begonnen, war kreuz und quer durchs Land gereist, hatte jede Stadt, jedes Dorf und jeden Weiler abgegrast. Überall hatte er gesucht, ohne je auf eine Aura zu stoßen, die wie seine war. Ohne auch nur ein einziges Mal eine Spur ihrer Energie zu erhaschen, außer in seinen Gedanken.
    Hoch oben spürte Seb einen kühlen Wind an seinen Flügeln vorbeistreichen. Der Abend war still und friedlich. Es reicht, sagte er sich. Wie von selbst schien der Gedanke in ihm aufzusteigen, aber er wusste sofort, dass es stimmte.
    Er konnte nicht mehr, war der ständigen Enttäuschung nicht mehr gewachsen. Wenn er während all der Jahre nie auf jemanden gestoßen war, der so war wie er, und das in einem so dicht besiedelten Land wie Mexiko, dann war es an der Zeit, der Wahrheit ins Auge zu blicken: Es gab keine anderen. Kein Halbengel-Mädchen würde auf wundersame Weise erscheinen, um seine Einsamkeit zu lindern, und wenn er noch so sehr meinte, sie zu spüren. Sie existierte nicht. Sie war nichts weiter als ein Produkt seiner Fantasie. Ein schönes Phantom. Aufgrund einer makaberen Laune der Natur war er allein – der Einzige seiner Gattung – und es war an der Zeit, sich einfach damit abzufinden und zu versuchen, sein Leben zu leben.
    Die Entscheidung kam ihm richtig vor. Zugleich fühlte es sich aber auch so an, als wäre ihm etwas aus der Brust gerissen worden, in der jetzt ein tiefes Loch klaffte, welches sich niemals würde füllen lassen. Seb lag im weichen Gras und schaute zu seinem Engel hinauf, der so mühelos und wendig vor den Sternen dahinflog. Und er wusste, dass das, was er gedacht hatte, nicht ganz der Wahrheit entsprach – solange er diesen anderen Teil von sich besaß, würde er niemals vollkommen einsam sein.
    Es fühlte sich lediglich so an.

1
     
     
    Die Schere an meinem Hals war kalt.
    Ich stand mit geschlossenen Augen im Bad unseres Motelzimmers und versuchte, nicht darauf zu achten, wie sehr ich jedes einzelne metallische Schnipp oder das merkwürdige, schreckliche, luftige Gefühl hasste, das sich allmählich auf meinem Kopf ausbreitete. Ich wusste ja, wie notwendig das hier war (logisch, schließlich war es ja meine Idee gewesen), doch das hieß noch lange nicht, dass es mir Spaß machen musste. Alex machte es auch nicht sonderlich viel Spaß. Wahrscheinlich hasste er diesen Teil der Prozedur sogar am allermeisten. Aber als ich nachmittags mit der Idee herausgerückt war, hatte er zugegeben, dass er auch schon daran gedacht hatte. Und jetzt hantierte er mit der Schere, ohne zu zögern. Hätte ich es nicht vorgeschlagen, hätte er es getan.
    Trotzdem seltsam … eigentlich wollten wir es beide nicht, dennoch waren wir mit Feuereifer bei der Sache.
    Ich hörte, wie Alex die Schere auf die Badezimmerablage legte. »Okay, ich glaube, ich bin fertig.« Er klang unsicher. Voller Angst vor dem Anblick, der sich mir bieten würde, öffnete ich die Augen und starrte mein Spiegelbild an.
    Mein ehemals langes Haar war jetzt kurz. Sehr kurz. Ich weiß nicht einmal, wie ich es beschreiben soll. Vielleicht am ehesten als eine Art Fransenschnitt, auch wenn die Fransen mehr wie das Werk eines wahnsinnigen Friseurs aussahen, der mit der Schere Amok gelaufen war. Und obendrein war es nicht länger blond – es war jetzt von einem tiefen Rotgold, das mich an Herbst und Laubfeuer denken ließ. Ich hatte geglaubt, das würde besser zu meiner Hautfarbe passen als Braun, aber jetzt … Ich schluckte. Meine grünen Augen im Spiegel wirkten groß und verunsichert.
    Ich sah überhaupt nicht mehr aus wie ich selbst.
    Alex starrte mich ebenfalls an. »Wow«, sagte er. »Das ist … echt ein Riesenunterschied.«
    Ich verschluckte die Frage, mit der ich gerne herausgeplatzt wäre: Aber du findest mich doch immer noch schön, oder nicht? »Immer noch schön« war hier nicht das Thema – ich selber war ja sowieso nicht der Meinung, ich sei schön. Es war Alex, der mich für schön hielt. Aber jetzt ging es einfach nur darum, am Leben zu bleiben. Aus dem Zimmer hörte ich die immergleiche Meldung, die ohne Unterbrechung wiederholt wurde, seit wir den Fernseher eingeschaltet hatten: »Die Polizei fahndet dringend nach dem Paar, um es zum Tathergang zu befragen … Wir weisen nochmals daraufhin, dass sie vermutlich bewaffnet und gefährlich sind und raten davon ab, sich ihnen zu nähern … Sachdienliche Hinweise nimmt die speziell eingerichtete Hotline entgegen …«
    Ich wusste auch ohne
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