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Hueter der Daemmerung

Hueter der Daemmerung

Titel: Hueter der Daemmerung
Autoren: L. A. Weatherly
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vollkommen versteinert und konnte nicht begreifen, was sich vor meinen Augen abspielte.
    Das Haus, in dem ich gelebt hatte, seit ich neun Jahre alt war, brannte lichterloh.
    Trotz der verwackelten Aufnahmen, die wirkten, als wären sie mit einem Handy gefilmt worden, war kein Zweifel möglich -es war Tante Jos heruntergekommenes viktorianisches Zuhause, das dort knisternd und knackend in sich zusammenstürzte. Selbst die Kitschfiguren im Vorgarten hatten Feuer gefangen. Ich konnte gerade noch einen der Gartenzwerge erkennen, der wie ein unheimlicher Feuergeist inmitten eines Flammenmeers stand.
    Das Bild wechselte und zeigte nun eine geschwärzte Ruine, die von Feuerwehrleuten durchkämmt wurde. Das gesamte obere Stockwerk des Hauses war verschwunden, nur hier und da ragten dunkle Balken heraus wie knochige Finger. Ich starrte auf ein verrußtes Stückchen lavendelfarbener Wand. Mein Zimmer.
    »… Brandursache unbekannt, doch die Polizei vor Ort vermutet, dass eine Bürgerwehr der Church of Angels hinter dem Feuer stechen könnte. Ersten Berichten zufolge hat es keine Überlebenden gegeben. Aus den Ruinen wurden die sterblichen Überreste zweier Frauen geborgen, bei denen es sich vermutlich um Miranda und Joanne Fields handelt, Mutter und Tante von Willow Fields …«
    Auf dem Bildschirm wurden zwei Leichensäcke aus den verkohlten Trümmern des Hauses getragen.

2
     
     
    Ich fing an zu zittern, in meinen Ohren dröhnte es. Im Fernsehen glitt einer der Feuerwehrmänner auf dem Schutt aus. Wortlos sah ich zu, wie der viel zu menschenförmige Leichensack auf der Bahre ins Rutschen geriet.
    »Willow!« Alex kniete vor mir und seine Stimme klang beinahe schroff, als er mich an den Schultern packte. »Es tut mir leid. Aber wenn wir nicht machen, dass wir hier wegkommen, sind wir die Nächsten. Komm jetzt!«
    Irgendwie brachte ich ein Nicken zustande. Ich bekam keine Luft. Mein ganzer Körper fühlte sich an wie zerschmettert, von dem, was ich gerade gesehen hatte. Mom. Mom. Ich stand auf und nahm das kleine Foto von mir und dem Weidenbaum vom Nachttisch. Wie betäubt steckte ich es in meine Hosentasche. Mehr war mir von meinem alten Leben jetzt nicht mehr geblieben. Alex ließ den Fernseher laufen, während er die Tür vorsichtig öffnete und durch den Spalt nach draußen spähte. »Alles klar«, flüsterte er. Er drehte sich halb zu mir um und streckte mir die Hand hin. »Versuch so auszusehen, als hätten wir es nicht eilig. Aber stell dich darauf ein, jederzeit loszurennen.«
    Keine Überlebenden, keine Überlebenden. Die Worte hämmerten in meinem Schädel, als wir zum Parkplatz gingen. Außer einem Pärchen, das gerade sein Gepäck auslud, war niemand zu sehen. Keiner der beiden schaute zu uns herüber. Als wir zum Motorrad kamen, reichte mir Alex den Helm und stopfte die Plastiktüte ins Gepäckfach. Meine Finger fühlten sich plump und unbeholfen an, als ich die Riemen festzurrte.
    Gerade als wir in die entgegengesetzte Richtung davonbrausten, kam ein Polizeiwagen die Straße herunter. Ich registrierte es kaum. Ich klammerte mich fest an Alex. Wieder und wieder sah ich die zwei Leichensäcke vor mir. War Mom aus ihrer Traumwelt aufgetaucht, bevor es passierte? Hatte sie gewusst, wie ihr geschah? Oh, bitte nicht. Die Vorstellung, wie sie verängstigt in einer Falle saß, aus der es kein Entrinnen gab, war unerträglich. Zum Schutz vor der kalten Bergluft schmiegte ich mich eng an Alex’ Rücken. Ich hielt die Augen geschlossen und versuchte, mich nicht zu übergeben.
    Ich bin mir nicht sicher, wie viel Zeit verging, ob Minuten oder Stunden. Aber irgendwann, nachdem wir die Grenze nach New Mexico überquert hatten, fuhr Alex vom Highway herunter in eine kleine Stadt. Als wir zu einer Tankstelle kamen, bog er ab und parkte das Motorrad außer Sichtweite dahinter. Meine Beine fühlten sich steif und fremd an, als ich abstieg, als wäre ich ein frisch aus dem Grab gekrochener Zombie.
    Alex verzog mitfühlend das Gesicht und legte mir einen Arm um die Schultern. »Komm, wir müssen reden«, sagte er und lotste mich zur Toilette.
    Reden. Das Wort klang befremdlich. Ich merkte, wie ich es auf der Suche nach möglichen Bedeutungen hin und her wendete. Ich stand da und hatte die Arme um meinen Oberkörper geschlungen, während Alex die Tür hinter uns abschloss. Tief in mir konnte ich die Tränen spüren, die darauf warteten, wie eine Sturzflut hervorzubrechen. Wenn ich ihnen nachgab, würden sie mich mit sich reißen
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