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Hueter der Daemmerung

Hueter der Daemmerung

Titel: Hueter der Daemmerung
Autoren: L. A. Weatherly
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übernommen hatte. Er stieg aus dem Wagen und öffnete die Fahrertür. »Setz dich nach hinten, du hast genug für heute«, sagte er mit versteinerter Miene, seine Reaktion auf den Anblick von eben. Ich machte keine Einwände.
    Danach hatte fast niemand mehr ein Wort gesagt, und daran hatte sich auch jetzt, mehrere Stunden später, nichts geändert. Sebs Gesichtsausdruck zerriss mir das Herz. Er hatte Mexico City immer gehasst, wegen allem, was er dort durchgemacht hatte, aber zu erleben, wie es dem Erdboden gleichgemacht wurde … Ich schluckte, das Blut hämmerte in meinen Schläfen. Obwohl ich mich danach sehnte, ihn zu umarmen und selbst umarmt zu werden, konnte ich die unbehagliche Atmosphäre zwischen uns nicht durchbrechen, wie sehr ich es auch wollte.
    Von vorne sagte Liz mit leiser rauer Stimme: »Ob Kara und Brendan wohl okay sind?« Trish und Wesley erwähnte sie nicht. Ich konnte es ihr nicht verübeln, es tat schon viel zu weh, auch nur an die beiden zu denken.
    »Ich hoffe es«, sagte Alex knapp und wechselte den Gang. Wir hatten versucht sie anzurufen, aber unsere Handys funktionierten nicht. Uns war allen klar, was unausgesprochen in der Luft hing: Es war gut möglich, dass sie auf ihrem Weg nach unten im Treppenhaus von einer wütenden Menge angegriffen worden waren, insbesondere wenn Brendans verletztes Bein sie aufgehalten hatte.
    Ich presste meine Stirn an das kühle Fenster, während ich auf die vorbeifliegenden Bäume schaute. Ich hatte den anderen erzählt, was ich aus Raziels Gedanken erfahren hatte, dass die Hälfte aller Engel auf der Welt tot war. Das hätte sich wohl wie ein Sieg anfühlen sollen … aber gerade jetzt war uns nicht besonders siegreich zumute.
    Als wir um eine Kurve fuhren, öffnete sich plötzlich ein Blick auf die Stadt, die in den letzten Strahlen der untergehenden Sonne vor uns ausgebreitet lag. Alex hielt an, und wir stiegen aus, sogar Sam, der sich auf Alex’ Schulter stützte. Schweigend starrten wir auf das Bild der Zerstörung. Die grüngewölbte Fassade des Torre Mayor ragte in den Himmel. Der Turm war seinem Ruf als erdbebensicherstes Gebäude der Welt gerecht geworden und stehen geblieben.
    Er war beinahe das Einzige, was überhaupt noch stand. In einem Umkreis von mehreren Kilometern war die Stadt buchstäblich ausgelöscht worden: Ein paar Gebäude waren nur halb eingestürzt, doch die meisten lagen vollständig in Trümmern. Obwohl ich das flache Rechteck des Zöcalo erkennen konnte, war von der Kathedrale nichts mehr zu sehen.
    Liz zitterte und schlang die Arme um ihren Oberkörper. »Glaubt ihr, so was ist wirklich überall auf der Welt passiert?«, flüsterte sie. »Oder nur hier?«
    Darauf konnte ihr niemand von uns eine Antwort geben.
    Irgendwann atmete Alex tief aus. »Na, kommt. Suchen wir uns einen Platz zum Übernachten.«
    Seb blieb stehen und sah weiter reglos auf die Stadt hinunter, während die anderen schon zum Wagen zurückgingen. Als ich zu ihm aufblickte, bemerkte ich, dass seine Wangen feucht waren. Das brach in meinem Inneren einen Damm und mit einem Schluchzen schlang ich die Arme um ihn. Er drückte mich an sich, und zitternd hielten wir uns gegenseitig fest. Oh Gott, ich war ja so blöd gewesen, völlig versunken in meinen Liebeskummer wegen Alex. Seb hatte recht. Wir hatten uns geküsst, mehr nicht. Das musste zwischen uns nichts ändern, es sei denn, wir ließen es zu.
    »Es tut mir leid«, flüsterte ich an seinem Hals. »Seb, es tut mir so leid. Ich will, dass zwischen uns wieder alles so wird wie früher.«
    »Das will ich auch«, sagte er heiser. »Mehr als alles andere.«
    Ich schloss die Augen und atmete schluchzend aus, während ich mich an ihn presste. Ich konnte seine Bartstoppeln an meinen Haaren spüren, die starke Wärme seiner Arme. Nichts hatte sich geändert, alles hatte sich geändert. Ich hatte meinen Freund wieder. Ich wusste, dass Seb noch immer in mich verliebt war. Und er wusste, dass ich nicht in ihn verliebt war, aber irgendwie spielte das auf einmal keine Rolle mehr, für keinen von uns beiden – wir brauchten einander, so oder so. Und mein Gott, nach allem, was wir gerade durchgemacht hatten … es ließ sich überhaupt nicht in Worte fassen, wie unglaublich viel es mir bedeutete, zu wissen, dass unsere Freundschaft nicht zerbrochen war.
    Endlich machte ich mich von ihm los und küsste ihn auf die Wange. »Komm«, sagte ich. »Wäre mein Bruder wohl so freundlich, mich zum Auto zu begleiten?«
    »Jederzeit,
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