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Hueter der Daemmerung

Hueter der Daemmerung

Titel: Hueter der Daemmerung
Autoren: L. A. Weatherly
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»Verdammt, er ist bestimmt gebrochen, das schwör ich euch«, murrte Sam und legte den Kopf an die Rückenlehne. Er war kreideweiß.
    Sowie alle drin waren, knallte Alex die Tür zu. »Ich glaube, er ist nur verstaucht, aber du hast echt Glück gehabt, okay? Wir haben alle Glück gehabt.«
    Ich spürte, wie mir Sebs Angst kleine Schauer über die Haut jagte. Er fühlte, was ich fühlte: Die gigantischen Wurzeln waren mittlerweile völlig außer Kontrolle und peitschten durch die Erde. Wir mussten raus aus der Stadt, sofort.
    Als ich mit röhrendem Motor wieder anfuhr, sah ich, dass über unseren Köpfen nur noch zwei Engel miteinander kämpften. Zwei. Hieß das, dass Raziel noch am Leben war? Die Straße bebte und ich beschleunigte und versuchte zu verhindern, dass die Erschütterung uns einholte. Ein weiterer Peitschenhieb aus Energie durchschnitt die Luft. Als ich an den zwei Engeln vorbeijagte, stob ein glitzernder Funkenregen in die Höhe.
    Und dann – nichts.
    Mein Herz hämmerte. War Raziel jetzt wirklich tot? Kurz kreuzten sich Alex’ und meine Blicke im Rückspiegel. Er wusste es auch nicht – aber ich wusste, worauf er hoffte. Dann zog ich den Wagen auf den Paseo de la Reforma und das leere Stück Himmel verschwand aus unserem Blickfeld.
    Ich bahnte mir in wüsten Schlangenlinien einen Weg durch den Verkehr, ohne auf das Hupkonzert in unserem Rücken zu achten. Je weiter wir vorankamen, desto freier wurde die Straße, denn als die Erdstöße anhielten, fuhren die Leute an den Straßenrand. In Mexico City gibt es häufig Erdbeben. Und normalerweise war es vermutlich vernünftig, stehen zu bleiben. Doch so wie sich die Energie in dieser Stadt auf einmal anfühlte, würde ich bestimmt nicht stehen bleiben. Ein Laster war mir im Weg. Sam heulte vor Schmerz, als ich erst auf den grasbewachsenen Mittelstreifen und dann wieder auf die Fahrbahn holperte. Als wir unsere Fahrt über den Paseo de la Reforma in Richtung Norden fortsetzten, lief es mir kalt über den Rücken. Ich erkannte, wie recht ich hatte, uns so schnell wie möglich hier rausbringen zu wollen.
    Vor uns kam die leere Säule in Sicht, auf der einst der Engel von Mexico City gestanden und seine goldene Girlande gen Himmel gestreckt hatte. Sie schwankte hin und her wie ein überdimensionierter Jenga-Turm.
    »Dios mio«, flüsterte Seb von hinten.
    Wir konnten nicht ausweichen, also biss ich die Zähne zusammen und raste darauf zu. Als sie anfing, sich quer über die Straße zu neigen, schrie Liz gellend auf und drückte sich panisch in ihren Sitz – dann schossen wir darunter hindurch und kamen wohlbehalten auf der anderen Seite wieder heraus.
    Sam lachte matt. »Oh Mann – wo kann ich dich zur Fahrerin des Jahres nominieren?«
    Meine Hände waren so fest um das Lenkrad gekrampft, dass es sich anfühlte, als wären sie dort festgeklebt. »Beschrei es nicht«, sagte ich und hielt den Blick auf die wogende Straße geheftet. »Vielleicht wartest du lieber, bis ich uns wirklich hier rausgebracht habe.«
    »Du schaffst es«, sagte Alex mit fester Stimme. »Du wirst es schaffen.«
    Und irgendwie tat ich das tatsächlich.
    Als die Sonne unterging, schlängelten wir uns auf einer gewundenen Straße einen Berg hinauf. Hier schien das Beben nicht so schlimm gewesen zu sein, obwohl wir dennoch von Zeit zu Zeit umgestürzten Bäumen ausweichen mussten. Trotzdem fühlte es sich friedlich an, wie die Berge in den Himmel ragten, als wären sie schon immer da gewesen, seit Anbeginn der Zeit und bis in alle Ewigkeit.
    Friedlich war gut. Friedlich war sehr gut.
    Alex hatte das Steuer übernommen. Ich saß hinten neben Seb, der wortlos und mit distanziertem Blick vor sich hinstarrte. Ich spürte seinen Schmerz über das, was mit seiner Geburtsstadt passiert war. Denn als wir endlich die Außenbezirke von Mexico City erreicht hatten, hatte ich etwas im Rückspiegel gesehen, das mir den Atem verschlagen hatte: Die Erde im centro hatte sich aufgetürmt wie eine riesige Flutwelle. Gebäude schwankten und stürzten, als sie vorbeirauschte, Autos versanken in tiefen Erdspalten. Ich hatte am Straßenrand gehalten, weil ich zu sehr zitterte, um weiterfahren zu können. Gemeinsam hatten wir auf das Grauen hinter uns gestarrt.
    Irgendwann war die Welle verebbt. Und dann hatte sich eine so tiefe Stille über die Welt gelegt, wie ich sie noch nie gehört hatte, und eine große Staubwolke war in die Luft gestiegen.
    Das war der Zeitpunkt gewesen, an dem Alex das Steuer
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