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Hotel van Gogh

Hotel van Gogh

Titel: Hotel van Gogh
Autoren: J.R. Bechtle
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geschaffen.«
    Vincent spricht Niederländisch mit ihm, langsam, als prüfe er jedes Wort erst sorgfältig. Unvermittelt schöpft Theo Hoffnung. Es wäre nicht der erste aussichtslose Kampf, den Vincent gewonnen hat. Mit seiner unverwüstlichen Konstitution hat er die Ärzte noch jedes Mal überrascht.
    »Die Hitze, Vincent, dieses Jahr setzt sie mir ganz besonders zu. Und du?«
    »Solange ich zu rauchen habe, lässt sich alles ertragen. Ich bin froh, dass du hier bist.« Vincent macht eine Pause, blickt ihm in die Augen: »Hinter uns liegt ein langer Weg, Theo. Ohne dich hätte ich längst aufgegeben. Ohne deine Hilfe hätte ich es nie so weit gebracht.«
    »Wir sind mehr als nur Brüder, hast du einmal gesagt, und du hattest recht, die Lebensumstände haben uns zu Schicksalsgenossen gemacht.«
    »Wir beide hätten eine Person sein sollen, du mit deinem gesunden Kopf und ich mit meinem kräftigen Körper. Stell dir vor, was alles möglich gewesen wäre.«
    Vincent deutet auf eine noch feuchte Leinwand. Abgeerntete Weizenfelder unter einem aufgewühlten Himmel, wie die, an denen Theo bei seiner Ankunft vorbeigekommen ist. Ein Unwetter, eine Katastrophe kündigen sich an.
    »Siehst du die Raben, wie sie vom Himmel stürzen? Ich habe Angst, Theo! Wo ist das Schwarz hergekommen? Was ist passiert, wo haben wir nicht aufgepasst? Bald wird alles schwarz sein. Meine Farben, was ist mit meinen Farben geschehen?«
    Warum musste Vincent sich das antun? Er scheint vollkommen klar zu denken. Und jetzt siecht er in diesem Loch dahin wie ein Aussätziger.
    »Erinnerst du dich, Theo, damals in Arles, als ich den nächtlichen Himmel über dem Café Terrace in Ultramarin und Schattierungen von Violett und Grün gemalt habe, ohne ein einziges Mal Schwarz zu verwenden? Nie hat ein Nachthimmel in dieser Farbigkeit geleuchtet. Da wusste ich, dass ich ein Tor aufgestoßen hatte. Aber das Schwarz ist zurückgekehrt, hinterrücks hat es sich eingeschlichen.«
    »Soll ich das Fenster öffnen, damit etwas frische Luft hereinkommt?«
    »Lass alles, wie es ist, Theo. Meine Welt, ich will nichts mehr und ich brauche nichts mehr. Außer Tabak.«
    Als Theo Dr. Gachet in der Tür bemerkt, winkt er ihn herein. Vincent verstummt augenblicklich. Solange sich der Arzt in der Dachstube aufhält, spricht Vincent kein Wort. Das Essen, das ihm Gachet gebracht hat, rührt er nicht an. Gachet bleibt nicht lange bei ihnen.
    »Jeder will doch nur dein Bestes, Vincent! Hast du Schmerzen, was kann ich für dich tun?«
    »Ach Theo, ich habe einmal mehr versagt. Unfähig, mein Herz zu treffen. Als ob ich auch gar nichts richtig machen könnte! Die Schmerzen halte ich aus, ich habe Schlimmeres im Leben durchgestanden. Erzähl mir von meinem Neffen! In diesem stickigen Paris, im vierten Stock eines Wohnhauses, ohne frische Luft. Du musst dich mehr um seine Gesundheit kümmern!«
    Der Geruch in der Kammer ist kaum auszuhalten, Theo wird in Wellen von Brechreizen überrollt. Wie soll er da einen klaren Gedanken fassen? Und dann der erregbare Bruder, der sich gerade eine Kugel in den Körper gejagt hat, und ihm nun vorhält, wie er sein Kind aufzuziehen habe. Er hatte seinen Sohn nach Vincent benannt, aber hat er damit auch die dunkle Seele des Bruders auf ihn geladen?
    »Johanna und Vincent Willem sind noch in Leyden bei unserer Schwester Wil. Es geht ihnen gut, alle erkundigen sich nach dir.«
    »Warum bist du nicht auch länger in Holland geblieben, Theo? Musstest du unbedingt nach ein paar Tagen schon wieder nach Paris zurück?«
    »Du weißt doch, diese offenen Fragen über meine Zukunft in der Galerie. Aber das hat sich zum Glück nun alles geklärt. Ich werde in der Galerie bleiben und in Kürze neben Boussod und Valadon zum Partner aufsteigen. Finanziell brauchen wir uns keine Sorgen mehr zu machen, Vincent. Damit ist auch deine Zukunft gesichert.«
    Theo spricht ganz bewusst die Zukunft an. Ein kleiner Stein auf dem anderen. Aber Vincent blickt ihn wortlos aus rot unterlaufenen Augen an, als habe er nicht verstanden, wovon Theo spricht. Die Zukunft? Vincent versucht zu schlucken, dabei dringt ein erstickendes Röcheln aus seinem Hals. Theo reicht ihm Wasser, jedoch weist ihn Vincent mit einer schroffen Handbewegung ab.
    »Ich brauche nichts!«
    Theo schweigt, zurechtgewiesen vom großen Bruder, einmal mehr. Als hätte er nicht überstürzt alles stehen und liegen lassen, um ihm in diesen schweren Stunden beizustehen. Wie es seine Pflicht ist, nicht erst seit
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