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Hotel van Gogh

Hotel van Gogh

Titel: Hotel van Gogh
Autoren: J.R. Bechtle
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Allerdings weigert er sich, über seinen Zustand zu sprechen. Als wisse er nicht, was vorgefallen ist. Ist wirklich nichts zu machen?«
    Dr. Gachet schüttelt den Kopf. Wie soll man ihn retten, mit der Kugel direkt unter dem Herzen?
    »Ich muss zurück, man darf ihn jetzt nicht allein lassen.«
    Jeder Schritt nach oben fällt ihm schwer. Der unmenschliche Gestank in der Kammer, Theo muss einen neuerlichen Brechreiz unterdrücken. Vincent blickt kurz zu ihm auf und schweigt. Manchmal verzerrt sich sein Gesicht, wahrscheinlich vor Schmerzen. Aber seine Augen haben ungebrochen ihre eindringliche und beschwörende Kraft.
    Wenn ich es hier schon nicht aushalte, wie will es Vincent dann in seinem Zustand schaffen, denkt Theo. Aber körperlich war er mir immer überlegen. Diese Stärke bleibt unsere einzige Hoffnung, doch nicht die Ärzte!
    »Früher oder später werde ich meine eigene Ausstellung in einem Café bekommen. Ich hoffe, du hast recht, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist.«
    Vincent folgt Theos Blick zu einem gegen die Wand gelehnten Selbstporträt. Das einzige Bild, das Vincent aus St. Rémy mit nach Auvers gebracht hat. Gegen den in blauen und lila Tönen gehaltenen Hintergrund hebt sich das in Hellgrün gemalte Gesicht mit dem roten Bart und den roten Haaren ab. Vincents hohe Stirn, die stechenden Augen, die markige Nase und seine zusammengepressten Lippen. Hinter dem gefassten Äußeren brodelt der innere Sturm. Ein Mensch, der mit Elektrizität geladen ist.
    »Dieses Porträt hat mir damals sofort gefallen. Mit deinem herausfordernden Blick, aber auch, als ob du der Sache nicht ganz traust.«
    »Für mich besteht kein Zweifel, dass meine Bilder trotz aller Verwirrung Bestand haben werden.«
    Welche Verwirrungen spricht er jetzt an, überlegt Theo: die sozialen und politischen Verwirrungen der Zeit, mit denen sich Vincent unablässig auseinandersetzt, oder die Verwirrungen der Kunst, den Umsturz der alten verbrauchten Traditionen durch die neuen Maler, oder die Verwirrungen des im Gestern erstarrten Kunstmarkts? Oder die seiner eigenen Existenz? Die in seinem Kopf?
    »Du bist zum Glück nicht wie andere Kunsthändler, Theo. Ich setze für meine Arbeit mein Leben ein, aber der Kunsthandel versteift sich blind auf die tote Kunst und behandelt die neuen Künstler wie Irre. Das muss einen doch um den Verstand bringen!«
    Er denkt klar, seine Beobachtungen zur Situation der Künstler, die die Malerei zu verändern suchen, schneidend wie immer.
    »Wir brauchen eine Vereinigung derjenigen Maler, die alle dasselbe Ziel verfolgen und trotz des Widerstands und der Ablehnung durch den Markt weiterarbeiten, ohne aufzugeben. Warum halten sich die andren Maler, was sie auch davon denken, instinktiv von Besprechungen über den Zustand an den Akademien und den heutigen Handel fern? Gauguin und ich haben es jedenfalls versucht. Ob ein nochmaliger Versuch unter veränderten Vorzeichen Erfolg haben könnte?«
    Theo blickt auf. Er hat die Frage des Bruders nicht verstanden, war mit seinen Gedanken woanders.
    »Gauguins neuestes Bild aus der Bretagne, das ich bei dir in Paris gesehen habe, gefällt mir gut. Am liebsten würde ich mit ihm dort ein paar Wochen arbeiten, um einige gemeinsame Sachen fertig zu machen, die uns in der Provence wahrscheinlich auch noch gelungen wären.«
    »Das würde dir guttun, zusammen mit Gauguin und de Haan in ihrem Haus in der Bretagne.«
    Theo klammert sich gegen alle Vernunft an diesen Fetzen Optimismus, den Blick in die Zukunft.
    »Auf alle Fälle muss ich mit Gauguin seine Madagaskarpläne besprechen. Ich stimme mit ihm überein, dass die Zukunft der Malerei in den Tropen liegt, in Java oder Martinique, und nicht hier. Aber es erscheint mir kopflos, ohne eine gesicherte Beziehung zum Kunsthandel in Paris einfach drauflos zu fahren.«
    Warum hat er sich das Leben nehmen wollen? Vincent steckt mitten in den Auseinandersetzungen der Gegenwartskunst. Aber dann bemerkt Theo die sich dehnenden Pausen, den immer häufiger stockenden Fluss der Worte.
    »Gauguin begreift meine Bilder, er weiß, warum die Farben so sind, wie sie sind, und nicht anders sein können. Gauguin und noch ein paar andere Menschen. Du gehörst natürlich auch dazu, Theo. Daher müssen Gauguin und ich unbedingt besprechen, was als Nächstes zu tun ist.«
    Wenn sich die Uhr nur zurückdrehen ließe, denkt Theo, wenn man das Zerwürfnis zwischen Vincent und Gauguin in Arles einfach vergessen könnte, die beiden wieder
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