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Horror Factory 3 - Der Blutflüsterer

Horror Factory 3 - Der Blutflüsterer

Titel: Horror Factory 3 - Der Blutflüsterer
Autoren: Christian Montillon
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ist nicht wichtig.«
    Nun beulte die Zungenspitze von innen die Lippen aus. »Ich will aber.«
    Heiko genoss diesen Moment, in dem sein Sohn klarer schien als sonst oft. Ich will aber. Das sagten andere Kinder bestimmt auch. Es war beinahe so, als wäre Michi normal. Der Gedanke schmerzte. »Na, du sagst doch auch nicht achtunddreißig, neununddreißig, zehnunddreißig.« Er hatte Michael ins Bett gebracht, und bevor der Kleine einschlief, wollte er seinem Vater offenbar beweisen, wie gut er schon auf Englisch zählen konnte.
    »Forty!« Michi strahlte. Ein wenig Speichel rann aus seinem rechten Mundwinkel. Es störte Heiko nicht. Hatte ihn noch nie gestört.
    Heiko blickte aus dem Fenster des Kinderzimmers, lehnte sich mit der Schulter gegen Michis Hochbett. Der Junge war inzwischen voller Begeisterung bei »forty-seven« angelangt und würde das Spiel leicht noch in die Hunderter forttreiben. Wenn er einmal zu zählen begonnen hatte, konnte ihn nichts und niemand aus der Konzentration auf diese Aufgabe reißen – es sei denn, man wies ihn darauf hin, dass er einen Fehler gemacht hatte, was Michi mit akribischer Sorgfalt zu vermeiden versuchte.
    Noch bis vor einigen Wochen hatte der Fünfjährige ungezählte Stunden damit verbracht, auf Deutsch von Tag zu Tag weiterzuzählen, in Eintausender-Etappen, die er am jeweils nächsten Tag fortsetzte. Bei einhundertvierzigtausend hatte er endlich die Lust verloren und seine Mutter dazu gebracht, ihm die Zahlen auf Französisch beizubringen. Nachdem die Sprachkompetenz der Eltern schon bei »Mille« an ihre Grenzen stieß, hatte Michael auf Englisch gewechselt und verwandte nun einen Gutteil seiner Energie auf das neu entdeckte Lernfeld.
    Seinen überdurchschnittlich entwickelten, ja geradezu brillanten Verstand auf eine Aufgabe konzentrieren , hatte der Kinderpsychologe dieses Verhalten genannt, das sich ähnlich schon kurz nach Michis zweitem Geburtstag gezeigt hatte. Die Diagnose des Kinderneurologen hatte sich in sein Herz gebohrt und in das seiner Frau Charly: Autismus. Manchmal glaubte Heiko, es sei genau jenes Wort, das ihre Ehe mehr und mehr auseinandertrieb. Es klang harmlos, und Dr. Mahler hatte noch einen ganzen Schwarm von Erklärungen nachgeschoben, die den Zustand Ihres kleinen Michael genauer beschrieben und die davon sprachen, dass man Autismus zwar nicht heilen könne, aber, aber, aber.
    Damals hatten sie es für ein Problem gehalten.
    Lächerlich.
    Was ihnen der Arzt vor wenigen Stunden gesagt hatte, das war ein Problem. Es war unmöglich, aber … ein Problem. Ganz sicher.
    Heiko versank in den düsteren Gedanken, hörte das »Fifty-eight« kaum, wohl aber das nächste Wort: »Papa?«
    »Hm?«
    »Papa, was der Arzt gesagt hat, dass ich Alzheimer habe, das heißt, dass ich bald sterben werde, gell?«
    Die Worte stachen wie Dolche mitten in Heikos Herz. So redete doch kein Fünfjähriger. Aber ein Fünfjähriger bekam auch kein Alzheimer, und die Diagnose war eindeutig. Fünf Mal überprüft. Zehn Mal. »N-Nein«, sagte er und wusste selbst nicht, ob er log. »Weißt du, wir können …«
    »Schon gut, Papa. Der Tod gehört eben dazu. Vielleicht kommt er ja heute Nacht.«
    Heiko wollte etwas sagen, aber er brachte kein Wort heraus.
    »Wenn das so ist und ich sterbe«, fuhr Michi ungewohnt fröhlich fort, »dann sei nicht traurig. Ich hab dich lieb, Papa. Sag das auch der Mama.«
    »Ich hab dich auch lieb«, sagte Heiko, und es stimmte.
    Mein Gott, wie sehr es stimmte.
    Heiko küsste seinen Sohn auf die Stirn und verließ das Kinderzimmer. Als er ging, hörte er das Gemurmel: »Sixty … si-sixty-f..fi … si … nein!«Heiko drehte sich kurz um. Das Gesicht des Jungen lag im Halbdunkel, doch durch die geöffnete Tür fiel genug Licht herein, um ihn genauer zu mustern.
    Die Augen starrten geradeaus in die Höhe, die Hände nestelten am Zipfel des Kopfkissens. Michi wusste nicht mehr, wie es weiterging, war aber nicht in der Lage, eine entsprechende Frage zu formulieren. Heiko kannte das nur zu gut; er konnte neurologische und psychiatrische Fachbegriffe mitten in der Nacht herunterbeten. Im Prinzip lief es auf eine eingeschränkte Kommunikationsfähigkeit hinaus; eine Art Vorstufe zum voll ausgeprägten Autismus. Nur eine Winzigkeit davon entfernt. Es schwebte wie ein Schreckgespenst über dem Leben des Kleinen.
    Oder hatte geschwebt.
    Autismus war abgelöst worden von Alzheimer.
    Noch schlimmer, noch dunkler, noch unfassbarer. Unmöglich, ging es ihm durch
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