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Horror Factory 3 - Der Blutflüsterer

Horror Factory 3 - Der Blutflüsterer

Titel: Horror Factory 3 - Der Blutflüsterer
Autoren: Christian Montillon
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den Sinn.
    »Jetzt ist es Zeit zu schlafen«, rief er dem Jungen zu.
    »Jetzt ist es Zeit zu schlafen«, wiederholte Michael.
    »Zähl morgen weiter, ja?«
    »Zähl morgen weiter, ja?«
    Heiko schluckte schwer. »Ist gut, Kleiner«, flüsterte er.
    »Ist gut, Kleiner«, flüsterte Michi zurück.
    Echolalie. Ein Phänomen, das häufig bei Autisten beobachtet wurde; sie wiederholten einfach, was sie hörten, egal, ob es Sinn ergab oder nicht. Andere Kinder mochten es als nervendes Spiel betreiben … Bei Michael zeigte es sich vor allem, wenn Frustration in ihm aufstieg.
    Auf dem kleinen Eckregal über dem Bett zeichnete sich die Silhouette der Nachttischlampe ab, neben der die Figur eines Außerirdischen mit flachem Tellerkopf stand. Heiko wusste nichts damit anzufangen, doch sein Sohn liebte sie und hätte aus dem Stegreif den Namen und tausend andere Details dieses Kerls nennen können.
    »Gute Nacht, mein Lieber«, sagte Heiko; eine Formel, die nicht seltsam klang, wenn Michi sie wiederholte. Ein Teil der Fassade einer heilen Welt.
    »Gute Nacht, mein Lieber.« Michael griff nach seinem Lieblingsstofftier, einem grauen Nilpferd, das um die Körpermitte schon völlig abgewetzt war. Der Stoff wies fingernagelgroße Löcher auf, aus denen Füllwatte quoll, was am breiten Grinsen der kleinen Nillie allerdings nichts änderte. Michi rieb sich mit dem Arm des Stofftiers über die Nase und sah mit einem Mal wieder sehr zufrieden aus und kicherte leise.
    Heikos Hände zitterten ein wenig. Ihm war übel. Er schloss die Augen, und sofort tauchte ein verrücktes Bild vor ihm auf:
    Michi, wie er im Bett lag, mit durchgeschnittener Kehle und blutüberströmt. Beide Augen fehlten, die Höhlen schwammen in Blut, und ein Messer steckte in der Brust. Die Bettdecke war zur Seite gerutscht, und die Gedärme hingen aus dem Bauch.
    Heiko erschrak vor sich selbst. So etwas Grauenhaftes hatte er noch nie gesehen. Wo kam nur dieses verrückte, entsetzliche Bild her?
    Papa, was der Arzt gesagt hat, dass ich Alzheimer habe, das heißt, dass ich bald sterben werde, gell?
    Plötzlich musste Heiko würgen und fühlte einen Schwall Erbrochenes in der Kehle. Er hob die Hand vor den Mund und hastete in Richtung Bad. Das Letzte, das er hörte, war das Kichern seines Sohnes.
*
    Heiko spuckte Erbrochenes in die Toilette und trank hastig Wasser aus dem Zahnputzbecher. Die Tube lag neben dem Wasserhahn. Sie war nicht zugeschraubt.
    Das Bild, das er gesehen hatte, entsetzte ihn noch immer. Eine furchtbare Detailliertheit, eine grausame Deutlichkeit. Wie kam er bloß auf so etwas? Es musste die ganze Aufregung sein. Der Schock der bizarren Nachricht des Arztes, der selbst so ausgesehen hatte, als wolle er nicht glauben, was er seinen Patienten mitteilte. Alzheimer bei einem Kind von sieben Jahren. Aber die Hirnschädigungen waren eindeutig.
    Mit dem Handtuch rieb sich Heiko Mund und Kinn trocken und ging ins Wohnzimmer zu seiner Frau.
    Charlotte saß auf dem breiten Sessel vorm Kamin, die Beine so angezogen, dass die Füße auf der Sitzfläche ruhten. In der Rechten hielt sie eine Zeitschrift. Ihr Kinn lag auf den Knien. Sie liebte diese Haltung.
    Mit einem Knacken flogen im offenen Kamin Funken aus dem knochentrockenen Holz und trieben in der Hitze des Feuers nach oben. Die Flammen spendeten das einzige Licht im Raum. Die Bücherregale waren kaum zu erkennen, und die schwarze Stehlampe am anderen Ende des Zimmers bildete den Scherenschnitt einer dünnen Säule.
    Natürlich las Charlotte nicht in der Zeitschrift. Sie blickte ins Leere. Heikos Augen gewöhnten sich langsam an die herrschenden Lichtverhältnisse, und er erkannte immer mehr Details. Auf dem Beistelltischchen hatte sich Charly eine Cola gerichtet, schal und abgestanden und wahrscheinlich zimmerwarm, also ganz so, wie sie es liebte. Bei der Hochzeit hatte er noch gescherzt, das wäre ihr einziger Fehler. Was hatten sie gelacht, damals. Inzwischen konnte er weitere Charaktereigenschaften aufzählen, die ihn zur Weißglut brachten. Anfangs hatte er Charly dafür umso mehr geliebt, mittlerweile – seit jenem Moment, in dem sich der Monstergeist Autismus in ihre Ehe gedrängt hatte – war jede Kleinigkeit ein Anlass zum Streiten. Und heute, nach diesem Tag, nach dieser Nachricht, würde es bestimmt nicht besser werden.
    »Wir müssen reden, Charly«, sagte er.
    »Worüber denn?« Sie klang gereizt. So gereizt, dass es ihr wohl ebenfalls aufgefallen war, obwohl sie längst eine Meisterin im
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