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Holzhammer 02 - Teufelshorn

Holzhammer 02 - Teufelshorn

Titel: Holzhammer 02 - Teufelshorn
Autoren: Fredrika Gers
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Matthias.
    «Weil er da ist», antwortete Christine mit einem leichten Grinsen. Das hatte Edmund Hillary auf die Frage hin gesagt, warum er als erster Mensch den Mount Everest besteigen wolle. Der Grünstein maß allerdings nur 1304 Meter, weshalb die überwiegende Mehrheit der Touristen ihn ohne künstlichen Sauerstoff anging.
    Matthias war kein großer Wanderer, obwohl er in Berchtesgaden aufgewachsen war. Christine, die erst seit einem Jahr hier lebte und eigentlich ein echtes Nordlicht war, hatte in dieser Zeit mehr Gipfel erklommen als Matthias in den letzten zwanzig Jahren. Bereits fertig angezogen, stand sie in ärmelloser Bluse und leichter Berghose im Wohnzimmer. Sie wusste, dass ihr Hintern in der elastischen Hose gut zur Geltung kam und Matthias solchen Reizen nicht abgeneigt war – ein kleiner Ansporn zumindest. Ihre widerspenstigen Haare hatte sie mit einem Baumwolltuch gebändigt, sodass sie fast schon wie eine Einheimische aussah. Außerdem war der Grünstein ihrer beider Hausberg. Und trotz des Maulens ging Matthias natürlich mit.
    In seiner Jugend hatte er den Grünstein zeitweise täglich bestiegen. Zu Trainingszwecken, zusammen mit einem Fußballspezi. Aber mit dem Training war es schon lange vorbei, auf seine 1,94 Meter verteilten sich inzwischen über 95 Kilo. Warum sollte er auf einen Berg gehen, auf dem nichts wartete außer der Aussicht, wieder hinuntergehen zu müssen? Da sah er überhaupt keinen Grund. Und auch an diesem schönen Samstag Ende September lief wieder mal die Sportschau im Fernseher. Aber schließlich liebte er Christine. Jeden Zentimeter ihrer zierlichen Figur, von den fusseligen Haaren bis zu den Füßchen Größe 36. Ihr entscheidendes Argument war jedoch gewesen, dass die Grünsteinhütte noch geöffnet hatte.
    Anderthalb Stunden später saßen sie auf der Bank neben dem Gipfelkreuz und blickten auf ein 360-Grad-Panorama, das vom Hohen Göll über den Jenner mit der Seilbahn bis zum Kahlersberg reichte und vom Watzmann über den Hochkalter bis zur Reiteralm. Viele der umliegenden Berge hatte Christine im letzten Jahr bestiegen und sich stolz ins Gipfelbuch eingetragen. Der ein oder andere stand noch auf ihrer Wunschliste. Sie fasste die Gipfel nacheinander ins Auge und versuchte, sich an die genaue Höhe zu erinnern. Als Ärztin und Liebhaberin der Naturwissenschaften war sie ein Fan exakter Angaben. Nicht umsonst hieß sie mit vollem Namen Dr. Dr. Christine Müller-Halberstadt.
    Das Kalkgestein, das in den Berchtesgadener Bergen vorherrschend war, hieß mit vollem Namen Ramsaudolomit. Und es hieß tatsächlich nach der Gemeinde Ramsau im inneren Landkreis. Ein Gestein aus lauter einzelnen Trümmern, die mehr oder weniger fest zusammenklebten. An der Oberfläche meist weniger, denn seit Jahrtausenden beschäftigten sich Regen und Frost damit, das Ganze wieder in seine Bestandteile aufzulösen. Mit einigem Erfolg, wie man zum Beispiel an der 300 Meter dicken Schuttschicht im Wimbachgries sehen konnte. Eines fernen Tages würde der Watzmann in Trümmern liegen – wie vor einem Jahr Christines Ehe. Die war brüchig geworden, ohne dass sie es gemerkt hatte.
    Christine machte Fotos, teils von der Landschaft, teils von den Touristen. Interessant war vor allem, in welch unterschiedlicher Verfassung die bunt gekleideten Trendsportler den Grünstein-Klettersteig verließen, der aus Richtung Königssee heraufkam und direkt auf dem Gipfel endete. Einige glücklich schwitzend, andere völlig ausgepumpt und froh, es hinter sich zu haben. Sie selbst waren auf dem Normalweg von Hinterbrand aufgestiegen.
    «So ein schöner Tag, bist du nicht froh, dass du mitgekommen bist?», fragte Christine.
    «Ja, sehr schön», sagte Matthias, ohne eine Miene zu verziehen. Er stand auf und griff nach seinen Stöcken.
    Christine war klar, was das bedeutete: Als Buddhist hatte Matthias zwar mehrere Leben und insofern alle Zeit der Welt – aber jetzt hatte er vor allem eins, nämlich Durst.
    In diesem Moment war ein Knattern zu vernehmen, und die Touristen wandten die Köpfe. Auf der Bank nebenan fiel eine Flasche Sprudel um, Apfelschorle düngte den Boden. Dann sah man auch schon aus Richtung Berchtesgaden den roten Rettungshubschrauber Christoph 14 anfliegen, der im Tal bestens bekannt war. Er hielt auf den glitzernden Königssee zu und überflog ihn, ständig höher steigend, in ganzer Länge. Dann verschwand er nach links hinter den Abbrüchen des Feuerpalvens.
    «Da ist etwas passiert»,
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