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Holzhammer 02 - Teufelshorn

Holzhammer 02 - Teufelshorn

Titel: Holzhammer 02 - Teufelshorn
Autoren: Fredrika Gers
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sagte Christine automatisch. Den Satz sagten ihre Patienten immer, wenn der rote Hubschrauber von den Panoramafenstern der Reha-Klinik aus zu sehen war.
    «Hoffentlich hat es nicht unsere geballte Prominenz getroffen», meinte Matthias.
    «Was für Prominenz?»
    «Heute ist doch das Wochenende, an dem sie sich am Berg zusammenraufen wollen. Die Großkopferten von Bischofswiesen und der Schönau. Sie sind zur Wasseralm – alle, die mit dem Götschen und dem Jenner zu tun haben, und wahrscheinlich noch ein paar weitere Wichtigtuer dazu. Und der Chef vom DSV-Stützpunkt natürlich.»
    «Und worum geht’s da?», fragte Christine. Sie kannte die Wasseralm. Es war die wohl urigste Hütte in den Berchtesgadenern. Als sie im Sommer oben gewesen war, hatte der Wirt sie in die gesamte Komfortausstattung eingewiesen: «Der Wellnessbereich ist dahinten», hatte er gesagt und dabei auf die Wiese am Bach gezeigt.
    «Es geht darum, dass der Skiverband vom Götschen zum Jenner umziehen will, weil es da bessere Trainingsmöglichkeiten gibt», erklärte Matthias. «Beziehungsweise weil die Bischofswieser nicht mitziehen, was den Ausbau betrifft. Und die Schönauer sind natürlich ganz heiß drauf. Du kennst ja den Hias.» Der Hias war Matthias’ Cousin. Und Bürgermeister der Schönau.
    «Ja, der tut wirklich viel für die Gemeinde, oder? Er scheint auch ziemlich beliebt zu sein.»
    «Schon, sonst hätten sie ihn wohl nicht schon zum vierten Mal wiedergewählt. Er setzt sich wirklich ein. Mal fährt er wegen der Olympiade nach Kanada, dann wieder wegen dem Pfarrer nach Polen. Kennst du die Story? Die hatten doch so einen beliebten polnischen Pfarrer in der Schönau. Und irgendwann wollten die Polen den wiederhaben. Da hat der Hias den halben Gemeinderat ins Auto gepackt, und sie sind ab nach Kattowitz, um mit dem Bischof zu reden. Natürlich hatten sie Berchtesgadener Tracht dabei, ist ja Ehrensache. Aber zum Bischof rein sind sie in zivil. Und während sie dadrinnen um den Pfarrer verhandelten, wurde ihnen draußen die Tracht aus dem Auto geklaut. Gamsbart, Lederhose, graublaue Joppe, alles. Ihre Mission war erfolgreich. Aber den Spott nach ihrer Rückkehr kannst du dir vorstellen.»

    Die Grünsteinhütte stand auf einem terrassenartigen Flachstück, 80 Höhenmeter unter dem Gipfel. Zum Königssee hin brach das Gelände abrupt ab. Eine einfache Holzbrüstung schützte die Gäste vor dem Absturz. Die zehn Biertische waren fast komplett besetzt. Der Schweiß, der beim Bergsteigen floss, musste durch isotonische Flüssigkeit in Form von Weißbier ersetzt werden.
    Genau das machte für Christine die Faszination des Bergsteigens aus: nicht das Weißbier, sondern dass man sich die Belohnung so hart erarbeiten musste. Ein Bergsteiger vergoss an einem Tag mehr salzigen Schweiß als ein Modelleisenbahner in einem Jahr. Vor allem aber floss der Schweiß nicht allein aufgrund der Anstrengung. Es war meist auch ein gewisses Maß an Nervenkitzel dabei, das sich je nach persönlicher Vorliebe beliebig steigern ließ.
    Für Christine barg ein einziger Bergtag den geistigen Erholungswert eines dreiwöchigen Urlaubs am Strand. Es gab ihr unendlich viel, Murmeltiere beim Spielen zu beobachten oder im trockenen Mattenrasen ein Edelweiß zu entdecken. Dabei vergaß sie allen Ärger, der im Tal wartete – die langwierigen Berichte, die sie zu schreiben hatte, schwierige Patienten und den immer wieder aufflammenden Ärger mit der Klinikleitung.
    Noch vor zwei Jahren hatte sie die alten Bergfilme mit Luis Trenker nur als Lachnummern betrachtet, den klassischen Spruch «auffi muas i!» als Heimatromantik abgetan. Doch inzwischen wusste sie genau, was jeder Bergsteiger damit meinte. Und was auch Edmund Hillary gemeint hatte, als er sagte, er wolle auf den Everest, «weil er da ist». Und manchmal war sie traurig, dass sie dieses Hobby erst so spät entdeckt hatte. Christine beneidete die jungen Einheimischen, die mit den Bergen aufgewachsen waren. Oft wurde sie von munter plaudernden Mädels überholt, in einem Tempo, bei dem sie selbst keinen zusammenhängenden Satz mehr herausgebracht hätte. So fit würde sie nie werden, mit über vierzig war sie da ohnehin im Hintertreffen. Außerdem hatte sie einfach zu spät angefangen.
    Seltsam, dass Matthias von diesem Bergvirus so gar nicht befallen war. Stattdessen kamen immer mehr Flachländer in die Berge. Was sich an schönen Tagen an den modernen Klettersteigen abspielte, musste man gesehen haben, um es
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