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Holz und Elfenbein

Holz und Elfenbein

Titel: Holz und Elfenbein
Autoren: Tanya T. Heinrich
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nicht sehen konnte.
    Kaum einer, der in so einer Situation sagen würde, dass er in der Tat mehr erwartet hätte. So eine Blöße wollte sich niemand geben, sie waren ja alle große Jungs.
    »Ich bin mir sicher, wir sehen uns wieder. Vielleicht dann alleine.« Claude lächelte und genehmigte sich noch einmal ein kleines Nippen an den vollen Lippen des Afrikaners.

    Schließlich hatte er sie beide aus seiner Wohnung bekommen und war sogar noch einigermaßen im Zeitrahmen. Aufräumen musste er dann heute Abend, wenn er von den Proben zurückkam. Das gesamte Schlafzimmer erinnerte an den Darkroom in seinem Lieblingsclub. Nummer Eins, Claude hatte noch immer nicht ihre Namen aus seinem Gedächtnis gekramt, musterte ihn interessiert als er seinen Geigenkasten schulterte und die Wohnung hinter sich zuschloss.
    »Du bist Musiker?«
    »Hm, ja. Violine«, Claude winkte Nummer Zwei ein letztes Mal zu, der gerade die Treppe hinabging.
    »Kein Wunder, dass du so virtuos mit deinen Finger warst.«
    »Ha, ha«, machte Claude schwach und wurde unversehens an die Wand gedrückt, wo sich nun Nummer Eins noch einen Abschiedskuss genehmigte. Pflichtschuldig schürzte Claude seine Lippen, schielte aber insgeheim nach seiner Uhr. So langsam musste er sich wirklich beeilen und schob Nummer Eins mit Nachdruck von sich. Waren die Typen von heute anhänglicher als früher, oder täuschte er sich da?
    »Verdammte Schwuchtel!«, tönte es vom Stockwerk über ihm als sich Claude gerade in Bewegung setzen wollte.
    »Na fein«, seufzte er und wartete bis die fragliche Person die Treppe hinunter kam. Wahrscheinlich war es der ältere Junge der Leclercs, der ihm schon öfters einmal solche Nettigkeiten an den Kopf geworfen hatte.
    Normalerweise musste er sich solche Äußerungen nicht von Angesicht zu Angesicht anhören. Auch wenn sich Claude sicher war, dass er hinter so mancher verschlossener Wohnungstür generell nur als ›Schwuchtel von nebenan‹ bezeichnet wurde. Wobei er fairerweise zugeben musste, auch zahlreiche Bewohner zu kennen, die es als Selbstverständlichkeit akzeptiert hatten, dass er schwul war und öfters Herrenbesuch mitbrachte. So wie die Rentnerin, die unmittelbar neben ihm wohnte. Oder das junge, frisch verheiratete Akademikerpärchen im ersten Stock.
    »Hast du ein Problem?«, fuhr Claude Luc Leclerc an als dieser auf seinem Treppenabsatz angelangt war und schon Anstalten machte zu türmen. Claude hielt ihn an seinem Kragen fest, von einem solchen Bengel ließ er sich nicht als ›verdammte Schwuchtel‹ titulieren.
    »Fass mich nicht an Schwuchtel.«
    Claude drückte ihn an die Wand und grinste. »Nun, die Schwuchtel könnte dich in ihre Wohnung ziehen und dir das Hirn aus dem Schädel vögeln, wie würde dir das gefallen?« Claude war heute wirklich nicht zum Scherzen aufgelegt.
    Erfreulicherweise wurde Luc abwechselnd rot, dann weiß und dann wieder rot. Er stieß Claude mit all seiner Kraft von annähernd 90 Kilo, der Junge hatte was von einem Bullen, von sich und stürmte die Treppe hinab.
    »Es würde dir gefallen!«, rief Claude noch hinterher und konnte ein boshaftes Lachen nicht ganz unterdrücken. »Klemmschwuchtel!«, gab er noch zu guter Letzt einen hinzu.
    » Salut «, Patrice, Lucs jüngerer Bruder, kam nun an Claudes Wohnungstür vorbei. Er vermied es tunlichst Claude in die Augen zu blicken. Genau wie Luc musste er Claudes Kuss mit seinem One-Night-Stand beobachtet haben. Es war der zweite Sohn der Familie und in der Regel etwas umgänglicher als sein Bruder. So umgänglich wie jemand sein konnte, der an sich sehr verschlossen und ruhig war. Patrice war so wie sich Claude den typischen Nerd vorstellte: Hochgezogene Schultern, gebeugte Haltung vom vielen Sitzen vor dem Computer, kein erkennbarer Haarschnitt oder ein irgendwie gearteter Modestil. Natürlich eine Brille und noch nicht einmal ein schickes Modell, nein das ganz gewöhnliche 0815-Kassengestell.
    »Dein Bruder ist wirklich unausstehlich.«
    »Ich weiß«, kam die trockene Replik. »Tschuldigung, dass er sich so aufführt. Ich kann ihn auch nicht leiden.«
    Unterschiedlicher hätten die beiden Brüder auch nicht sein können.

    Spätestens als Claude zum Konservatorium radelte, hatte er den unerfreulichen Vorfall im Treppenhaus schon wieder vergessen. Heute war ein ganz besonderer Tag für das Orchester, denn die Probenarbeiten für die neue Saison begannen. Claude spielte nun mehr seit drei Jahren im Orchester des Genfer Konservatoriums. Diese
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