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Holunderliebe

Holunderliebe

Titel: Holunderliebe
Autoren: Katrin Tempel
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meine Phantasie drängten sich Silke und Erik, leidenschaftlich küssend, auf einem Bett, das ich unschwer als Eriks identifizieren konnte. Mit einem Kopfschütteln vertrieb ich das Bild und meine Eifersucht. Er wollte sich auf sein Studium konzentrieren, sonst nichts. Außerdem hatte ich doch gar keinen Anspruch auf Erik. Wir waren Freunde seit dem ersten Semester, hatten immer schon viel Zeit miteinander verbracht. Und hin und wieder teilten wir eben das Bett. Das hatte jede Menge Vorteile, die mir in diesem Moment jedoch allesamt entfallen waren.
    Stattdessen saß ich heulend in dem kleinen Garten vor meinem Studentenzimmer und kümmerte mich um mickrige Tomatenschösslinge. Die rannten mir nicht davon oder konnten mir auch nicht vorwerfen, dass ich zu unwissenschaftlich sei. Mit einem Seufzer sah ich mir mein kleines Paradies an. Es war erst Mitte März, da konnte noch nicht viel wachsen. Aber in meinem selbst gebauten Frühbeet direkt an der Hauswand würden meine Tomaten sicher überleben. Die Erfahrung zeigte, dass sie durch das frühere Aussetzen einen Vorsprung vor jeder anderen Pflanze hatten, die man in ein paar Wochen im Supermarkt kaufen konnte.
    Mit einem kleinen Seufzer setzte ich die letzte Pflanze in ihr neues Zuhause im Frühbeet und schloss den Glasdeckel, der sich schräg über die Setzlinge senkte und in den nächsten Wochen jeden einzelnen Sonnenstrahl in reine Wärme verwandeln würde. Dann erhob ich mich langsam. Die vorwitzige Ranke eines Geißblatts hing in der Luft und suchte nach Halt. Sie war durch die Wärme der letzten Tage wohl übermütig geworden. Vorsichtig legte ich sie zurück an das Rankgitter und wickelte den Trieb zwei- oder dreimal um das raue Holz. Dann bückte ich mich und räumte noch einen Haufen vertrockneter Blätter zur Seite, die verhinderten, dass ein paar Märzenbecher ihre Blüten entfalten konnten. Als ich in mein Zimmerchen kam, hatte sich mein Atem wieder beruhigt.
    Meine Mitbewohner hatten schon vor Jahren dieses Hexenhäuschen außerhalb von Münster gefunden. Drei relativ große Zimmer, eine Wohnküche, eine Abstellkammer – und dann noch meine mickrige Zehn-Quadratmeter-Kammer, gerade genug für Schrank, Bett und Schreibtisch. Aber eine Tür hinaus in den Garten, für den sich außer mir seit Jahren keiner interessiert hatte. Bei meinem Einzug herrschte da draußen eine Hölle aus Brombeeren und Brennnesseln, die jeden Eindringling erbarmungslos angriff. Ich durfte damit seit zwei Jahren machen, was ich wollte. Meine erste Tat war damals die Anschaffung einer Elektrosense gewesen, mit deren Hilfe ich die stachelige Wildnis beseitigt hatte. Meine Mitbewohner nutzten den Garten höchstens für sommerliche Grillfeste, bei denen sie von ihren Freunden für das Gemüse, das Obst und die vielen Blumen bewundert wurden. Sie waren ehrlich genug, dann immer auf mich zu deuten und zu erklären: »Das macht alles Lena!« Und ich heimste das Lob reinsten Gewissens ein. Diese knapp zweihundert Quadratmeter Paradies waren ganz allein mein Verdienst.
    Der Garten war makellos aufgeräumt, hier konnte ich mich beim besten Willen nicht mehr weiter beschäftigen. Trotzdem stand die Sonne immer noch hoch am Himmel. Was konnte ich jetzt noch tun, damit meine Gedanken nicht wieder um den Professor und meine Unwissenschaftlichkeit oder um Erik und seine Silke kreisten? Ein Spaziergang im nahe gelegenen Wald wäre wahrscheinlich eine gute Idee. Oder gleich in die Joggingschuhe und etwas für die Gesundheit tun?
    Mein Gewissen meldete sich. Ich sollte mich vielleicht etwas mehr in das Treiben der Plantagenets oder der Tudors vertiefen und mir einen Überblick über deren politische Schachzüge verschaffen. Dann hätte ich vielleicht eine kleine Chance, doch noch einen Schein für das Seminar zu ergattern. Das Referat war schließlich nur die halbe Miete, die andere Hälfte der Note basierte auf der schriftlichen Hausarbeit. Damit würde ich diesen auf Stammbäume und Schlachten versessenen Professor womöglich noch beeindrucken können. Ich biss die Zähne zusammen. Das hieß, ich musste noch einmal in die Bibliothek und alles zum zweiten Mal durcharbeiten. Staubige Bücher, genervte bibliothekarische Hilfskräfte, altmodische Karteikartensysteme, nach denen die Bücher geordnet waren. Das klang nach ganz wenig Spaß – aber wenigstens wäre ich von Erik gründlich abgelenkt. Wenn es etwas gab, worauf ich mich verlassen konnte, dann darauf, dass Erik ganz sicher nicht in der
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