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Holunderliebe

Holunderliebe

Titel: Holunderliebe
Autoren: Katrin Tempel
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Was aber nichts daran ändert, dass du ein wertvolles Buch aus der Bibliothek hast mitgehen lassen. Wann fällt das auf? Was denkst du?«
    Ich dachte nach. »Na ja – spätestens wenn jemand anders das Buch braucht. Wenn man es dann nicht findet, fällt der Verdacht auf den Letzten, der in dem Buch gelesen hat. Und ich habe das Buch bestellt. Also ist jedem klar, dass ich es auch in der Hand hatte. Dafür gibt es diese wunderbaren Ausleihsysteme.«
    »Aber ein paar Monate hast du noch, bevor deine Uni dich verdächtigt, ein altes wertvolles Buch gestohlen zu haben, oder?« An ihrer Stimme konnte ich hören, dass sie eine Idee hatte.
    »Ich denke schon. Wahrscheinlich sind es eher Wochen als Monate, aber in den nächsten Tagen habe ich Ruhe. Was hast du vor? Glaubst du nicht, dass ich am besten alles zugeben sollte? Vielleicht wird der Schaden ja sogar von meiner Haftpflicht gedeckt.«
    »Vielleicht ist der Schaden ja gar nicht so groß, den du da angerichtet hast. Ich habe eine Bekannte, die ist Buchbinderin. Was bei der hin und wieder auf dem Arbeitstisch landet, sieht nach nicht sehr viel mehr als Altpapier aus. Womöglich kann sie uns helfen.«
    »Und diese Bekannte würde nichts weitererzählen? Immerhin ist es ein ziemlich altes Buch!« Ich wagte kaum, an eine so einfache Lösung zu glauben.
    »Nein. Wem sollte sie es erzählen? Wir ziehen sie ins Vertrauen. Was soll denn mehr passieren, als dass sie zugibt, dieses Buch nicht mehr retten zu können? Dann haben wir immer noch Zeit genug, uns zu überlegen, mit welcher Erklärung du das Buch an die Universität zurückgeben kannst.«
    »Wie soll ich dir das Buch denn schicken?«, fragte ich vorsichtig nach.
    Meine Mutter war jetzt richtig in Fahrt. »Wickel es einfach in eine Decke oder ein dickes Handtuch, und schick es mir per Paketpost. Ich bringe es der Buchbinderin. Dann rufe ich dich an und erzähle dir, wie sie die Lage einschätzt.«
    Mir blieb nichts anderes übrig, als zu nicken. Nicht nur, dass ich ein wertvolles altes Buch geklaut hatte – jetzt würde ich also auch noch verschweigen, welchen Schaden ich verursacht hatte. »Mach ich, Mama.«
    »Und vergiss nicht, auf deine Kratzer und Schrammen ein bisschen Ringelblume oder Arnika zu geben. Du willst doch nicht, dass hässliche Narben bleiben. Das kann gerade im Gesicht ganz schnell passieren.«
    Hier konnte ich sie beruhigen. »Habe ich schon gemacht. Tut auch fast nicht mehr weh, ich glaube, ich muss nicht ins Krankenhaus. Was sollen die schon machen? Ist ja keine Platzwunde, die man nähen kann.«
    »Dann bin ich beruhigt.« Die Stimme meiner Mutter wurde weicher. »Und du meldest dich, wenn du mit jemandem reden willst, ja? Bloß nicht wieder bei diesem Erik anrufen, das bringt einfach nichts. Versprichst du mir das?«
    »Mal sehen«, murmelte ich. »Bin nicht so gut darin, irgendwelchen Menschen eine Absage zu erteilen.«
    »Musst du aber«, erklärte meine Mutter in diesem Tonfall, den sie auch unserem Hund gegenüber anwandte. Ich wagte keinen Widerspruch mehr. Stattdessen merkte ich, dass mir in meinem feuchten Badehandtuch ganz schön kalt geworden war.
    »Ich muss mir jetzt was Warmes anziehen«, erklärte ich. »Die anderen sollte ich wohl auch beruhigen, die haben sich ganz schön Sorgen gemacht, als ich gerade eben so nass, zerschrammt und dreckig eingelaufen bin. Nicht, dass die mir doch noch den Notarzt rufen …«
    Mit einem letzten »Pass auf dich auf!« verabschiedete sich meine Mutter. Einen kurzen Augenblick saß ich noch auf dem Badezimmerboden und sah den Telefonhörer in meiner Hand an. Warum nur konnte meine Mutter alle Bedenken und alle Sorgen im Handumdrehen auflösen?
    Langsam erhob ich mich, bürstete meine nassen Haare durch und schlüpfte in meinem Zimmer in ein paar weiche Jogginghosen und einen kuschligen Pullover. Dann ging ich langsam in die Küche, wo die anderen längst beim zweiten oder dritten Bier angekommen waren. Auch Sandra hatte ihren Vorsatz, nüchtern zu bleiben, wieder aufgegeben. Wahrscheinlich hatte sie sich ausgerechnet, dass ich heute in keine Notaufnahme mehr wollte. Womit sie ja auch völlig richtiglag.
    Ben musterte mein Gesicht und meinte zufrieden: »Ohne Dreck sieht das ja wirklich nicht so schlimm aus. Da müssen wir keine Angst haben, dass dein Wikinger dich nicht mehr haben will.«
    Wikinger, so nannten meine Mitbewohner Erik – wegen seines Namens, der breiten Schultern und der blonden Haare. Sie fanden ihn zu laut, und außerdem
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